Betr.: Missbrauch – AnstĂ¶ĂŸige Kirche

Folgender Text ist im April 2019 entstanden.
Er ist noch einmal leicht ĂŒberarbeitet worden und steht hier aus gegebenem Anlass erneut zur VerfĂŒgung.

1. Ins Dunkle blicken

In der Passionszeit haben wir auf die ernsten Themen unseres Glaubens geblickt. Christus am Kreuz. “FĂŒr uns Menschen und zu unserm Heil”. Daneben steht das ganz unheilvolle Leiden derjenigen Menschen, die von kirchlichen Mitarbeitern Gewalt und Missbrauch erlitten haben. Die Aufmerksamkeit fĂŒr dieses Thema ist schon seit Jahren hoch. Eingehende theologische Äußerungen dazu, soweit ich sie in den Medien wahrgenommen haben, gibt es derzeit nur in ĂŒbersichtlicher Zahl.

Zuerst muss das aus einem menschlichen Blickwinkel betrachtet werden. Betroffene mĂŒssen geschĂŒtzt und gestĂ€rkt werden, mit juristischen und anderen Mitteln. Wenn ich mir vorzustellen versuche, was es bedeutet, Gewalt und Missbrauch in der Kirche persönlich erfahren zu haben, wird mir klar: Der Mut der Betroffenen, die Wahrheit aufzudecken, besteht in dem höchstpersönlichen Outing, selber Opfer solcher die PersonwĂŒrde verletzenden Taten geworden zu sein. Ihren AufklĂ€rungsmut muss man ehren und unterstĂŒtzen. Nur so kommt die Wahrheit ans Licht. Von daher finde ich es richtig, dass die EKD-Synode im November 2018 eine Summe von 1,3 Millionen Euro bereitgestellt hat, um die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in ihren Einrichtungen professionell voranzubringen. Diese Summe macht unmissverstĂ€ndlich klar. Gewalt und Missbrauch sind auch im evangelischen Sektor eine Tatsache im vollen Wortsinn. Wir mĂŒssen uns ihr stellen und mit Hilfe von Fachleuten Wahrheit und Menschlichkeit schĂŒtzen.

Da Kirchen mit Theologie geleitet werden, gehört zu diesem menschlichen Blickwinkel auch die theologische Reflexion hinzu. Immerhin haben kirchliche VerkĂŒndiger und Seelsorger solche Taten verĂŒbt. Dieser Selbstwiderspruch ist tief und in ihm liegt ein heftig pochendes geistliches Problem fĂŒr die Kirchen. Was bedeuten diese Vorkommnisse fĂŒr die Kirchen und fĂŒr den Glauben, der in ihnen gelebt wird?

In jĂŒngster Zeit hat es auf katholischer Seite zwei prominente Stimmen gegeben. Theologische Diagnosen sind vorgelegt worden. Papst em. Benedikt XVI und der bekannte Theologe und Psychoanalytiker Prof. Dr. Eugen Drewermann. Insbesondere der Aufsatz von Benedikt hat – ungewollt – gezeigt, dass es zwei sehr verschiedene Blickwinkel von sehr unterschiedlicher QualitĂ€t gibt. Es ist eine Sache, wenn man angesichts der TĂ€ter aus den eigenen Reihen sich von der Zerstörung eines heilen oder heiligen Selbstbildes betroffen fĂŒhlt. Es ist eine andere, wenn man vom Leiden der Misshandelten direkt erschĂŒttert wird. Ich meine den Unterschied zwischen MitgefĂŒhl und Selbstmitleid.

2. Wegsehen statt (zu)hören oder:
Der Fluchtweg in die Entweltlichung

Benedikt spricht von einer “schweren Stunde” fĂŒr die Kirche, aber er erwĂ€hnt die misshandelten Menschen in seinem ĂŒber 6000-Wörter-Text kaum. Es geht ihm primĂ€r um die Kirche und den Glauben. Die Ursachen und HintergrĂŒnde fĂŒr die Taten sucht er in einem “allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Kontext”. Dort hat es angefangen. Dort diagnostiziert er einen Zusammenhang zwischen sexueller Befreiung, seelischem Zusammenbruch und Gewaltbereitschaft. In dieser unheiligen Trias liegt fĂŒr ihn DIE Versuchung durch die 68er. Dieser Versuchung seien Priesterkandidaten in einer Zeit erlegen, in der die katholische Moraltheologie dem nicht gewachsen gewesen sei. So weit seine Beschreibung. Schon im Ansatz verwischt der Papst m.E. den Unterschied zwischen Ursachenforschung und Schuldfragen.

Benedikt bewertet das Problem nun folgendermaßen: Durch pĂ€dophile Straftaten von Priestern werde “letztlich der Glaube beschĂ€digt”. Mit diesem Abstraktum “Glaube” meint er die spirituelle IntegritĂ€t der Kirche. Sie soll jetzt vom Lehramt wiederhergestellt werden. Das Heilmittel kommt aus dem Arznei-Regal mit der Aufschrift “Entweltlichung”. Der Klerus soll wieder intellektuelle und lebenspraktische Distanz zu den Versuchungen des normalen Lebens aufbauen und halten.

Ist es anmaßend, dem eine Frage aus der prophetischen Tradition entgegenzustellen? “Warum zertretet ihr mein Volk und zerschlagt das Angesicht der Elenden?, spricht Gott.” (Jesaja 3,15) Ich zitiere den Propheten ohne Furor, ohne Überhebung. Denn fĂŒr beides haben wir Evangelischen in dieser Sache keinen Anlass. Dieses Wort spricht auch in unsere Richtung. Es zeigt auf wunde Punkte. Ein blinder Fleck entsteht dort, wo man vor lauter Selbstbetroffenheit die Misshandelten aus dem Blick verliert. Dann wird es schief und es entsteht der Eindruck, dass man die GlaubwĂŒrdigkeit einer Kirche verteidigen will, in der Kindheiten zerstört wurden.

Mir mutet es unheimlich an, wenn Benedikt zur Widerlegung der 68er die Lehrmeinung hochhĂ€lt, “daß es Handlungen gebe, die nie gut werden können”. Mit pastoraler Milde vorgetragene Unerbittlichkeit, die auf den ersten Blick wohlĂŒberlegt und klar anmutet. Doch mir kommt es so vor, dass diese Zeilen etwas ungewollt Doppelbödiges, UntergrĂŒndiges haben. Wie von anderswoher schiebt sich ein Subtext zwischen die Zeilen und bemĂ€chtigt sich seiner Worte, ohne dass er es beim Korrekturlesen bemerkt zu haben scheint. Dieser Subtext zeigt nicht nach außen, sondern nach innen und lĂ€sst die Aussage wie einen Bumerang zurĂŒckkehren. Hier trifft er auf die Taten von kirchlichen AmtstrĂ€gern, die auch nie gut werden können. Das ist eine massive Herausforderung an jede Amts-Theologie. Aber dazu sagt Benedikt nichts. Musste die altkirchliche ZurĂŒckweisung der donatistischen Irrlehre das pastorale Gewissen wirklich so weit abstumpfen lassen? Dieser Subtext, diese zweite Tonspur unter seinem eigenen Worten widerspricht ihm selbst auf eine Weise und mit einer Wucht, zu der kein noch so empört oder pathetisch vorgebrachter Widerspruch fĂ€hig wĂ€re. Um es theologisch/geistlich auszudrĂŒcken: Ich glaube, dass Christus gerade versucht, öffentlich mit seinen brutal gewordenen Kirchen zu reden. “Warum zertretet ihr mein Volk und zerschlagt das Angesicht der Elenden?” Noch einmal: Das ist kein spezielles Konfessionsproblem, sondern eine Frage an die Christenheit.

3. Wundermittel Empathie oder:
Die Verabsolutierung der Psychotherapie

Eugen Drewermanns Bewertung verlĂ€uft auf anderen Denk-Wegen als denen von Benedikt. Er kommt auch zu anderen Schlussfolgerungen. Die im gerade zitierten Prophetenwort aufgeworfene Warum-Frage enthĂ€lt den Vorwurf, dass etwas letztlich Unverantwortbares, UnerklĂ€rliches geschehen ist. Auch ohne Prophetie steht die rhetorische Frage im Raum. Warum?! Wie konntet ihr! Der Psychoanalytiker will auf die rhetorische Frage nu nallerdings eine ernstgemeinte Antwort geben. Damit löst er ihren Vorwurfs-Charakter und den Charakter der Gerichts-Situation auf, in die sie stellt. In den moralischen AbgrĂŒnden erkennt er dennoch GrĂŒnde und HintergrĂŒnde, psychische Notlagen usw. Von da aus entwickelt Drewermann Lösungs-Überlegungen. Im Unterschied zu Benedikt XVI. gibt er immerhin offen zu erkennen, dass sein Denkansatz aus der griechischen Tragödie gespeist ist. Sein Heilmittel heißt nicht Abkehr vom Bösen und Entweltlichung, sondern Zuwendung zu den TĂ€tern und tieferes Verstehen. Sich dem Bösen wehrlos aussetzen. ZunĂ€chst finde ich Drewermanns empathisches Urteil ĂŒber die Kirche, die ihn ablehnt(e), respektabel und nobel. Aber schnell zeigt sich mir die Grenze seines Ansatzes. Das neue Vorwort einer aktuellen Neuauflage seines Werkes “Kleriker” eröffnet er mit dem Satz: „Die Kleriker leiden am meisten an der katholischen Kirche.“ Gewiss hat eine gewisse Anzahl von ihnen ernste Probleme damit, aber im Zusammenhang mit den MissbrauchsvorwĂŒrfen ist das zynisch und schlĂ€gt den Misshandelten ein weiteres Mal in die verwundete Seele. Wer leidet?

Drewermann fĂŒhrt seine Diagnose ebenfalls ins Allgemeingesellschaftliche aus, wenn auch aus anderem Blickwinkel als Benedikt. Nicht die 68er, sondern geradezu entgegengesetzt “das ganze bĂŒrgerliche Bewusstsein” sei ursĂ€chlich schuld. Es baue auf einer viel zu einfachen zweiwertigen Moral auf und trenne einfach zu schlicht, zu streng zwischen gut und böse. Diese angeblich simplifizierende Zweiwertigkeit werde weder dem innerpsychischen Drama der TĂ€ter noch der christlichen Botschaft gerecht. Das klingt nur scheinbar nach Differenzierung und KomplexitĂ€tswahrnehmung. Denn schließlich sagt er: “Die Menschen, die Böses tun, sind nicht böse. Sie wollen das nicht. Sie sind im Grunde wie Verlorene, Verlaufene, Verzweifelte.” Das scheint mir die andere Seite vom Pferd zu sein. Drewermanns Lösung zielt auf die Besserung unreif gebliebener Menschen. Er will “heilen und nicht strafen”. Gemeint sind die TĂ€ter. Dass auch ihnen geholfen werden muss, wenn sie einsichtig sind und sich stellen, bestreite ich nicht. Aber so beschreibt er es eben gerade nicht. Schließlich gipfelt Drewermanns Gedankenweg in dem Satz: “Menschen, die glĂŒcklich sind, wollen nichts Böses mehr.” Dagegen habe ich mehr als nur Zweifel. Das ist Unsinn. Anschließend folgt eine geradezu abenteuerlich anmutende Gesellschafts-Utopie. Drewermann scheint ernsthaft zu glauben, dass eine psychoanalytisch und -therapeutisch geschulte Gesellschaft a) möglich ist und b) ohne ein Strafrecht auskommt, wie wir es heute kennen. In seinem Theorie- und Therapiekonzept spielt der Gedanke von Gerechtigkeit keine maßgebliche Rolle mehr. Es geht ihm vielmehr um eine empathisch erarbeitete Versöhnung aller mit sich selbst, mit dem Bösen im eigenen Leben und dem Bösen im anderen Menschen, selbst, wenn der mir Schlimmes angetan hat. Drewermann mĂŒsste sich die Frage gefallen lassen, ob mit diesem Denken nicht auch etwas “zertreten” wird, was geschĂŒtzt gehört. Nach biblischem VerstĂ€ndnis ist das Recht eine lebensdienliche Instanz, deren BĂŒrge und HĂŒter Gott selbst ist.

4 Die Tragödie als Lösungsansatz?

Benedikts und Drewermanns Sichtweisen beide tragisch grundiert, nur auf unterschiedliche Weise. Der Papst sieht eine ĂŒbermĂ€chtig gewordene Verlockung, der Psychoanalytiker eine ĂŒbermĂ€chtig gewordene innere RealitĂ€t. Beides hat die TĂ€ter ĂŒberwĂ€ltigt und zu etwas getrieben, das sie „eigentlich“ nicht wollten. Benedikt sieht Versuchung am Werk, die von außen kommt, und Drewermann skizziert Mechanismen innerer Entgleisung und VerfĂŒhrung. Beides sind aber verwandte Begriffe – Versuchung und VerfĂŒhrung -, Begriffe mit tragischer Konnotation. In beiden leidet (auch) der TĂ€ter scheinbar ausweglos an etwas, das beinahe schicksalhaft ĂŒber ihn herein- oder aus ihm herausgebrochen ist. Die Konstellation ist schuld. In beiden Konzepten kann von einer strahlenden Rehabilitation getrĂ€umt werden. Sie erfordert allerdings eine heroische Leistung. Von einer heldenhaften, reinigenden Großtat trĂ€umen beide. Benedikt arbeitet an einer Wiederherstellung der WĂŒrde des Lehramtes und der Heiligkeit priesterlicher Lebensformen. Sein Mittel: konsequente Entweltlichung. Drewermann hingegen will mithilfe therapeutischen “Durcharbeitens” zu einem versöhnten Reifwerden und zu einem Hinauswachsen ĂŒber das begangene oder erlittene Böse verhelfen – Böses, das im Grunde nicht böse sondern nur Hilflosigkeit war. Ich gehe keinen dieser Wege mit. Das tragisch-heroische Grundmuster halte ich fĂŒr radikal verfehlt, ganz gleich, in welcher Tönung es ausgemalt ist.

5. Theologische Selbstreflexion im Angesicht der Opfer

In einem Artikel in “Christ und Welt” Anfang April 2019 haben ein paar Autoren vorbildlich und tastend damit begonnen, nach eigenstĂ€ndigen Wegen einer theologischen Aufarbeitung zu suchen. Sie haben dabei sowohl auf sich selbst geschaut, ihre Zögerlichkeit, ihr Nichtbeachten der Probleme, ihre BeschĂ€mung usw., und dann immer wieder auch zu den Betroffenen hingeblickt.“Braucht es eine neue Theologie?” Ja, es braucht eine Theologie der Selbstreflexion im Angesicht der Opfer.

Denn natĂŒrlich haben die erschĂŒtternden VorgĂ€nge eine RĂŒckwirkung auf die IntegritĂ€t der Kirchen und auf die GlaubwĂŒrdigkeit aller ihrer Mitarbeiter. In der Tat beschĂ€digen sie auch den Glauben von Menschen, die an den schlimmen VorfĂ€llen unbeteiligt sind, aber derjenigen Kirche angehören, in der das stattgefunden hat. Deshalb mĂŒssen wir nachschauen (lassen), welche Fehler es in den kirchlichen Systemen gibt. Problematische Strukturen, ungesunde Glaubens-Haltungen, merkwĂŒrdige Theologien. Bitte keine theologische Selbstverteidigung der Kirchen wie bei Benedikt. Bitte auch keine naive Idealisierung oder Empathisierung des Evangeliums wie bei Drewermann. Vielmehr ist eine ergebnisoffene geistliche SelbstprĂŒfung angesagt. Ergebnisoffen heißt: Offen fĂŒr weitere Ermittlung und Erforschung. Ergebnisoffen heißt auch: Wir wissen noch nicht, wohin es unsere Kirchen fĂŒhren wird, wenn wir uns dem stellen. Benedikt und Drewermann haben mir zu voreilig das Rezept ausgestellt. Ich denke, unsere Kirchen befinden sich in einer schwierigen historischen Stunde, und ahne, dass wir auf Weichenstellungen zugehen. Wichtiger als Lösungen scheint mir momentan die Frage zu sein: Wie gehen wir in diese Ungewissheit hinein?

Hierzu eine Zwischenbemerkung:
Die FĂ€higkeit zur kritischen SelbstprĂŒfung ist in religiösen Dingen nicht selbstverstĂ€ndlich gegeben. Religion soll ja zu etwas gut sein und steht fĂŒr große Wahrheiten. Da passt das Böse nicht ins Bild. Verirrungen werden verdrĂ€ngt oder “interpretiert”. Je grĂ¶ĂŸer der Skandal, umso grĂ¶ĂŸer die Versuchung zur bewussten oder unbewussten Heuchelei. Spirituelle Selbstkritik ist besonders schwierig. In der Bibel hat es eine große Sammlung von Prophetenschriften gebraucht, um das kritische Element im Glauben an den Gott der VĂ€ter implantieren. Sie helfen zu verstehen, dass Selbstkritik komplizierte Voraussetzungen hat, sonst gelingt sie nicht. HierfĂŒr ist parallel zur ermittelnden und analytischen Aufarbeitung von MissbrauchsfĂ€llen auch theologische Reflexion erforderlich.

6. Mein Reflexions-Weg und Denkansatz

Sonntag, 10. MĂ€rz 2019. Es standen verschiedene Bibeltexte auf der liturgischen Speisekarte. Am Anfang der Passionszeit nichts SĂŒĂŸes, sondern Saures. Eher herbe Texte. Innere Einkehr und Buße waren angesagt. Unter ihnen ein Abschnitt aus 2. Korinther 6. Darin steht ein irritierender Satz. Eigentlich mĂŒsste ich sagen: Der Satz fĂ€llt, denn er hat sich fĂŒr unsere Gegenwart lĂ€ngst erledigt. Das ist auch der Grund fĂŒr die Irritation, die aus ihm hervorgeht. Bevor ich ihn zitiere, muss ich noch erwĂ€hnen, dass ich ausgerechnet an den Tagen vor diesem Sonntag in den TV-Nachrichten Berichterstattung zum Missbrauchs-Thema gesehen hatte. Kirchliche WĂŒrdentrĂ€ger Ă€ußerten sich zu den Vorkommnissen in der (katholischen) Kirche und zur Notwendigkeit von Aufarbeitung. Zudem stieß ich auf die Arte-Dokumentation “Gottes missbrauchte Dienerinnen”. In diesem Zusammenhang begegnete mir bei meinen Gottesdienstvorbereitungen ein neutestamentlicher Satz, der im GegenĂŒber zu den aktuellen Nachrichten verstörend kraftlos auf mich wirkte.

“Wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlĂ€stert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes.”

Einspruch. Doch. Weltweit, auch in Europa, WIRD dieser Dienst verlĂ€stert. Diener Gottes geben teilweise schwersten Anstoß. Es ist nicht die Mehrheit, aber es sind auch keine ganz seltenen EinzelfĂ€lle. Es gab bis in die Leitungsspitzen hinauf ein System von Verharmlosung und Vertuschung. Noch einmal: Das Problem ist konfessionsĂŒbergreifend. Vor allem dort, wo geschlossene Macht- und Vertrauensbereiche etabliert sind und wo sie geistlich besonders aufgeladen werden, kann es zu solchen Taten kommen. Daniel Bogner beschreibt das als “sakralisierte HĂŒlle”. Will sagen: Die Kirche ist selbst zutiefst weltlich. Zugespitzt: Theologie und SpiritualitĂ€t wurden zum Schutzraum fĂŒr TĂ€ter. Das erinnert an einen Satz beim Propheten Jeremia. “Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, fĂŒr eine RĂ€uberhöhle?” Kirchliche Ämter als Schutzbereich, ja geradezu Versteck fĂŒr Verbrecher. Man lese Jeremia 7. Die Direktheit, die diese Worte in unserer Gegenwart entfalten, erschrecken.

Zum ersten Mal in meinem 30-jĂ€hrigen Dienst als kirchlicher Mitarbeiter und Pfarrer ist mir etwas klar geworden. Ich habe es vorher zwar geahnt und irgendwie gewusst. NatĂŒrlich: Die Kirche ist nicht perfekt. Pleiten, Pech und Pannen sowie Schwarze Schafe gibt es ĂŒberall. Aber ich habe es bis jetzt noch nicht so drastisch und endgĂŒltig formulieren wollen, wie es fĂŒr mich jetzt unabweisbar auf der Hand liegt.

Das gegenwĂ€rtige europĂ€ische Christentum hat seine mĂŒhsam (wieder-)errungene Unschuld verloren.

Vom Mittelalter und seinen religiösen Verirrungen kann man sich inzwischen glaubwĂŒrdig distanzieren, auch wenn kirchenfeindliche Agnostiker das gerne ignorieren. Auch von einigen gravierenden Fehlern der Reformation haben wir nach langer Vorarbeit nun endlich begrĂŒndet Abstand genommen. Die belastenden Verirrungen des 20. Jahrhunderts sind ebenfalls in Arbeit und wir sind durch Barmen, Vatikanum II, Ökumene, Friedensethik, Ökologie und Gerechtigkeitsfragen sensibilisiert, besonders in der Kirche. Manchen ist das sogar schon zu viel, zu moralisch, zu eng. Die Aufdeckung von sexuellem Missbrauchstaten an MinderjĂ€hrigen und anderen Schutzbefohlenen stĂ¶ĂŸt uns jedoch hart in die Gegenwart hinein. Aus der Jetzt-Zeit, an der man selbst teilnimmt, kann man nicht so einfach aussteigen. In der jetzigen Lage haben unsere Kirchen mit den MissbrauchsfĂ€llen ein schwerwiegendes und noch weitgehend unbearbeitetes Problem, das wie ein MĂŒhlstein um den Hals des Leibes Christi gehĂ€ngt ist. Andere Fehler kann man einordnen, geschichtlich oder soziologisch relativieren. Sexuelle Gewalt gegen Kinder, ĂŒberhaupt gegen Schutzbefohlene nicht.

Das gegenwĂ€rtige europĂ€ische Christentum hat seine Unschuld verloren. Die Wirklichkeit dieser Schande muss als theologische Wahrheit gedacht und begriffen werden. Benedikt sieht im Missbrauch vor allem ein kulturelles, moralisches Problem, von dem die Kirche sich nur richtig abstoßen mĂŒsse. Drewermann erkennt psychische und strukturelle Konstellationen, die man durcharbeiten und reformieren könnte. Das ist alles nicht gĂ€nzlich falsch, auch wenn die Einseitigkeit beider Konzepte inakzeptabel ist. Das Problem ist im Kern ernster und weniger therapierbar, als beide glauben. Die Gewalt- und MissbrauchsvorfĂ€lle haben eine grundsĂ€tzlich spirituelle, eine geistliche Seite, und die ist unheimlich. Wenn man so will: Da waltet neben all den anderen Aspekten auch eine metaphysische Schrecklichkeit. Das ist zwar nicht meine gewohnte Begrifflichkeit, ich weiß es aber im Moment nicht besser auszudrĂŒcken. Solche bösen Taten schaffen eine RealitĂ€t im Leben aller Beteiligten, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. Noch einmal: Aufarbeitung und Opferschutz hat erste PrioritĂ€t. Dem muss aber auch theologische Reflexion folgen. Der folgende Gedankenweg versucht zu verstehen, was das fĂŒr die Kirchen, fĂŒr den Glauben bedeutet und wie man das ĂŒberhaupt christlich durchdenken kann. Mein Gedankenweg fĂŒhrt von Paulus zu den Evangelien und am Schluss wieder zu Paulus.

7. Unbeschwerter Anfang oder:
Sehnsucht nach IntegritÀt

Als Paulus seine Briefe schrieb, waren Karfreitag und Ostern ungefĂ€hr 15 bis 20 Jahre her. Da stand diese Weise des Glaubens noch ganz am Anfang. Der Glaube an Jesus Christus hatte noch keine beschĂ€mende Vergangenheit. Weder gewaltsame Christianisierung noch KreuzzĂŒge oder Weltkriegs-Predigten waren passiert. Das Christentum war noch keine Institution in der Welt. Es hatte noch keinen AutoritĂ€ts-Status in der Gesellschaft, keine monumentalen Sakralbauten. Kirche war damals weder eine großer Arbeitgeberin noch eine Körperschaft öffentlichen Rechtes mit Sitz in RundfunkrĂ€ten und Talkshows usw. Die urchristlichen Gemeinden waren historisch ein unbeschriebenes Blatt. Sie waren eine junge, neue Gemeinschaft, die noch nicht die schwere historische Fracht von großen Traditionen und ebenso großen Fehltritten zu (er)tragen hatte.

Nachdem sich durch apostolische Mission auch außerhalb Israels jesusglĂ€ubige Gruppen bildeten, wurden sie zunehmend als eigenes PhĂ€nomen wahrgenommen. Man nannte sie “Christianer” (Apg 11,16). Da begann die Geschichte unserer Religion. Sie hatten anfangs nur ihre Botschaft und sich selbst. Das war herausfordernd genug. Denn sie waren keine UnschuldslĂ€mmer. Schon Jesus hat nicht gerade die feine Gesellschaft angesprochen, sondern gab sich mit den GefĂ€hrlichen ab, deren Unmoral und Krankheiten fĂŒr ansteckend gehalten wurden: Zöllner, AussĂ€tzige, Prostituierte usw. Gepredigt wurde die Rettung der Verlorenen, Heilung der Kranken und die Rechtfertigung der Gottlosen. Des Schöpfers freie Gnade fĂŒr alles Volk. Kein Wunder, wenn problematische Typen in die Gemeinden kamen. “Gemeinschaft der Heiligen”, sagen wir im Glaubensbekenntnis. Und Heilige wurden sie schon von Paulus genannt. Das war ein mutiger, vollmĂ€chtiger und fordernder Zuspruch, um den konkret gerungen wurde. Im 1. Korintherbrief erfĂ€hrt man EindrĂŒckliches ĂŒber die Probleme einer urchristlichen Gemeinde. DĂŒrfen GlĂ€ubige einen Rechtsstreit gegeneinander anstrengen und sich öffentlich fertig machen? Können sie wirklich unbedenklich Opferfleisch aus heidnischen Tempeln kaufen, ist das nicht Abendmahl mit Götzen? Und wenn sie schon mal da sind, dĂŒrfen sie die Dienste der Tempelhuren in Anspruch nehmen? Man traut seinen Augen und Ohren nicht 
 Was ist, wenn die Eucharistie in der Gemeinde zum Sauf- und Fressgelage ausartet und Leute rĂŒlpsend und lallend Brot und Kelch herumreichen? Usw. Es gab Orientierungsbedarf. Und das nicht zu knapp.

Dennoch war es die unbeschwerte Reinheit eines zauberhaften Anfangs. Schaut man in die apostolischen Briefe (Paulus, Petrus u.a.), sieht man deutlich: Sie spĂŒrten die historische Chance. Mit ihrer VerkĂŒndigung begann in der Weltgeschichte etwas Neues, Unverdorbenes. Die Christuspredigt reinigt die Seele und macht den glĂ€ubigen Menschen neu. “Ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.” (1. Kor 6,11) Du kannst anders leben, und alles, was du dafĂŒr brauchst, wird dir geschenkt: Gnade, Vergebung, Gottes Geist. Mitten in einem römischen Reich, dessen VitalitĂ€t in ein paar Generationen verbraucht sein wird, bringt diese Botschaft eine andere, neue Lebenskraft in die Welt. Mitten in der alten Weltzeit und ihrem Chaos entsteht eine neue Epoche, nach der man irgendwann die Zeitrechnung umstellen wird.

Den Aposteln war klar, welche Verantwortung mit dieser Botschaft auf ihnen und den Gemeinden lag. Der Glaube an Christus muss ehrenhaft bleiben. Nur so ist er ein kostbares Gut. “Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Neid.” (Römer 13,2) Das sind SĂ€tze, die ich lange fĂŒr merkwĂŒrdig unzeitgemĂ€ĂŸ und moralinsauer gehalten habe. Jetzt sehe ich sie von weiter Ferne herĂŒber leuchten wie schon erloschene Sterne, deren letzter Glanz mich geheimnisvoll anzieht. “Wir sind ein Wohlgeruch Christi. Wir sind nicht wie die vielen, die mit Religion GeschĂ€fte machen; sondern wie man aus Lauterkeit und aus Gott redet, so reden wir …”[9] Es liegt sozusagen im Gen-Code dieser Botschaft, dass christliche Gemeinschaften wie eine Stadt auf dem Berge sein sollten. Salz der Erde. Licht der Welt. „
 damit die Menschen eure guten Werken sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (MatthĂ€us 5) Wohlgemerkt: „euren Vater im Himmel“. Es dient der GlaubwĂŒrdigkeit eines Glaubens, wenn die GlĂ€ubigen ein einigermaßen ehrbares Leben fĂŒhren. Es kommt dem Evangelium, ja es kommt Gott zugute, Wenn unter ihren Predigern keine Kriminellen sind.

Das ist vorbei. Wieder und wieder erledigt. In jeder Epoche auf’s neue Alte. Unter dem Zeichen des Kreuzes, in RĂ€umen der Kirche ist von geweihten oder ordinierten AmtstrĂ€gern auch in jĂŒngster Zeit unvorstellbar Böses getan worden. Durch Verheimlichung ist es von zunĂ€chst unbeteiligten Leitenden geduldet worden, die zu Mitwissern und MittĂ€tern wurden. Im PrĂ€sens geschieht, was wir fĂŒr mittelalterlich halten möchten. Ausgerechnet VerkĂŒndiger, Seelsorger, Erzieher haben sich an den SchwĂ€chsten vergangen. Mit der WĂŒrde der misshandelten Menschen ist auch die Gnade Gottes geschĂ€ndet worden.

Was alles im Namen des Glaubens angerichtet werden kann, haben die Apostel in den ersten Jahrzehnten nur ahnen können. Ein wachsames GefĂŒhl fĂŒr die WidersprĂŒchlichkeit der menschlichen Natur hatten sie von Anfang an. Daher die gerade genannten Ermahnungen. Neben der Gnadenbotschaft haben wir immer auch lebenspraktische Ausrufezeichen im Neuen Testament. Den erhobenen Zeigefinger zur Mahnung verkneife ich mir auf der Kanzel am liebsten. Denn ich weiß, wie schnell das autoritĂ€r und anmaßend wirkt. Aber der Anspruch der alten Worte bleibt ungebrochen. Es sind auch fĂŒr uns kostbare SĂ€tze, obschon sie einer untergegangenen Zeit entstammen. Die Prediger der neutestamentlichen Zeit mussten noch auf kein abgrundtiefes Scheitern in historischen Ausmaßen RĂŒcksicht nehmen. Es wĂ€re damals sonst wohl niemand auf den Gedanken gekommen, Gottes bedingungslose Liebe zu predigen. Sie hatten die Hoffnung, dass das den Menschen wirklich besser machte. “Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben.“ (Römer 1,16) Ermahnungen wie die folgende wecken die Sehnsucht nach IntegritĂ€t. „Geh hin und sĂŒndige hinfort nicht mehr.“ (Johannes 8,11) Die wohltuende Gotteskraft braucht diese Aura von Wahrhaftigkeit, Anstand und moralischem Optimismus.

8. Die Passion Jesu oder:
Das welthistorische Scheitern des Christentums

Von Anfang an bestand die Gefahr, dass es schiefgeht. Und es ging schief. Das Christentum hat seine welthistorische Chance verspielt. Verspielt sie wieder und weiter. Was hĂ€tte dieses Evangelium in anhaltend integren Kirchen fĂŒr die Welt bedeuten können! Statt dessen liegt nun ein weiteres Mal offen zutage, dass die Kirchen nicht die Lösung und schon gar nicht die Erlösung der Welt sind. Der Weg des Christentums ist auch von Opfern, geschunden Leibern und gebrochenen Seelen gesĂ€umt – bis heute. Wie die Wege anderer Religionen und Staaten und Einrichtungen auch. Trotz “so soll es nicht sein unter euch” (MatthĂ€us 20,26).

Dass das Evangelium als Gotteskraft am Menschen auch scheitern kann, ist eine Einsicht, die erst nach und nach in der apostolischen Überlieferung gewachsen war. Es dĂ€mmerte ihnen bald: Das Christentum ist keine Heileweltreligion. Bis heute fĂ€llt es jedoch schwer, das zur Kenntnis nehmen. Es fĂ€llt schwer zu begreifen, dass Gottes Gnade nichts mit optimistischer Menschenverbesserung zu tun hat. Die Evangelien könnten helfen, diese schwierige Einsicht zu reflektieren und mit ihr umzugehen. Denn wer etwas gebessert haben will, braucht zuerst einen realistischen Blick.

In den großen Paulusbriefen sieht man von diesem inneren Knacks im christlichen Glauben noch wenig. Erneut mussten erst weitere zwei bis drei Jahrzehnte vergehen, bis die Evangelien in den 70er Jahren in Umlauf kamen. Sie sind reifer und spiegeln bereits etwas von diesem Realismus wider, von der ErnĂŒchterung des Christentums durch das Allzumenschliche. Was Paulus nur ahnen konnte und verhindern, heilen wollte, tritt in den Evangelien als bleibendes Problem deutlich vor Augen. Die JĂŒnger, die Paulus einst noch “SĂ€ulen” genannt hatte (Gal 2,9), große tragende Persönlichkeiten, kommen in den Evangelien fast durchgehend schlecht weg. Das UnverstĂ€ndnis der JĂŒnger ihrem Jesus gegenĂŒber ist da noch das harmloseste Problem. Unter ihnen war ein großmĂ€uliger aber feiger Petrus, der bei der Verhaftung Jesu einknickte und das Bekenntnis verleugnete, zu dem Gottes Geist ihn einmal beflĂŒgelt hatte. Noch gravierender: Unter ihnen war auch ein linkisch falscher Judas, der sich mit seinem Verrat am Heiligsten, am Wehrlosen verging. Man hĂ€lt die Luft an, dass die Apostel nach dem Schock von Karfreitag ihn noch im RĂŒckblick wĂŒrdigen und eine bemerkenswerte SolidaritĂ€t mit jemandem aufrechterhalten, der in jener dunklen Nacht sich so abgrĂŒndig verhalten hat und dann auf grausame Weise sich selbst das Leben nahm. “Er wurde zu uns gezĂ€hlt und hatte Anteil am gleichen Dienst” (Apg 1,11), sagten sie. Sein Dienst, sein Amt wurde allem zum Trotz auch nachtrĂ€glich nicht annulliert. Sein vakanter Platz sollte vielmehr neu besetzt werden.

Was bedeutet das? Machen wir uns zunĂ€chst klar, dass der Judas-Name in den Paulusbriefen noch nicht auftaucht; auch die jĂŒngste Abendmahls-Überlieferung, die er weitergibt, lĂ€sst den VerrĂ€ter im Dunkeln, sondern sagt nur anonym: “… in der Nacht, da er [Jesus] verraten ward …” (1 Korinther 11,23) Wie ĂŒberhaupt alle Nebenfiguren der Jesusgeschichte mit ihren AbgrĂŒnden und SelbstwidersprĂŒchen erst in den Evangelien sichtbar werden. Die JĂŒnger. Pilatus. Das Volk. In der Passion Jesu geraten alle ErzĂ€hlfiguren in den Strudel von Ă€ußeren und inneren Konflikten. Dabei offenbaren sie ihre unterschiedlichen Charaktere. 30 Jahre zuvor lesen wir davon bei Paulus noch nichts.

Was bedeuten diese merkwĂŒrdigen, hochambivalenten JĂŒnger-Überlieferungen? Wir sehen, wie in ihnen Böses und Gutes unausgeglichen nebeneinander stehengelassen werden. Das geht bis an die Grenze des VerstĂ€ndlichen und ErtrĂ€glichen. Was soll das besagen?

Man hatte im Überlieferungsprozess der Jesus-Geschichten offensichtlich angefangen, darĂŒber nachzudenken, dass Leugnung, Verrat und Zerstörung innerchristliche Probleme waren. Die dunklen Stellen lagen im JĂŒnger-Kreis selbst. Das Problem liegt innen, nicht außen, lieber Benedikt. Ich sehe da auch keine Tragik, keinen geheimen Zwang, keine Besessenheit. Der böse Wille, der dunkle Plan erwacht aus heiterem Himmel und letztlich ohne nachvollziehbare Notwendigkeit im inneren Zirkel. Das grundlos Böse ist eine RealitĂ€t auch innerhalb der Kirche. Man erkannte es in den eigenen Reihen. Nach einigen Jahrzehnten sah man endlich, dass es von Anfang an dabei war und immer mitlief. Lieber Eugen Drewermann, diese Geschichte zeigen doch, dass das unerklĂ€rliche Böse eine zerstörerische Kraft haben kann, die in EinzelfĂ€llen dem TĂ€ter jede RĂŒckkehr und jede Wiederherstellung unmöglich macht.

Das bedeutet: GefĂ€hrlicherweise ist die gute Nachricht von Gottes Rettungskraft in die HĂ€nde und MĂŒnder unvollkommener Menschen gelegt. Wir sehen im Evangelium einen gnĂ€digen Gott, der nicht von oben herab begnadigt, sondern der seine zerrissene Menschheit machtlos besuchen kommt. Wir sehen einen Gott, der unser völlig sanierungsbedĂŒrftiges Menschheits-Haus selber betritt und bewohnen will. Er sucht Gemeinschaft mit uns und dabei liefert er sich aus. Wir sehen im Evangelium einen Gott, der es in großer Liebe mit der kaputten menschlichen Natur aufnimmt. “Fleisch und Blut nimmt er an.” Einen Gott, der seinen Menschen unbedingt heilend, bessernd nahekommen will. Er tut das auf die Gefahr hin, dass die HĂ€nde, in die er fĂ€llt, zu SöldnerfĂ€usten werden. Auf die Gefahr hin, dass seine Verehrer sich als Handlanger des Bösen herausstellen. Am Ende wird ihm mit Purpurmantel und Dornenkrone ein ĂŒbler Spottgottesdienste gefeiert. Da gehen Menschen mit PrĂŒgelstöcken auf nackte Haut los und schĂ€nden, was ihnen in die Finger kommt. Wer hĂ€tte gedacht, dass die Verspottung Christi einmal ein passendes Bild fĂŒr ein Problem der europĂ€ische Kirchen in unseren Tage werden wĂŒrde? “Wer dem Geringen Gewalt antut, lĂ€stert dessen Schöpfer.” (Spr 14,31) Angesichts des geistlichen Ernstes dieser VorgĂ€nge sollten allerdings die Kirchen, die das Böse in ihren Reihen geduldet haben, mit eiligen SolidaritĂ€tsbekundungen den Betroffenen gegenĂŒber behutsam und zurĂŒckhaltend sein. Denn Gottes SolidaritĂ€t mit den Geschundenen findet möglicherweise andere Assistenten. Christus, der FĂŒrsprecher findet vielleicht bessere ReprĂ€sentanten seiner Anwaltschaft. Es sieht mir nicht danach aus, dass wir Kirchen so ohne weiteres auf oder “an” der Seite der Opfer stehen könnten, nach allem, was bisher bekannt geworden ist.

Den GewalttĂ€tern in Evangelium begegnet Jesus mit einer an Gott gerichteten Bitte. Er allein, kein Opfer sonst braucht das zu tun. „
 sie wissen nicht was sie tun.“ (Lukas 23,34) Sie sehen das Ausmaß der Zerstörung nicht, die sie anrichten. Sie haben kein Bewusstsein dafĂŒr, was sie den Menschen und ihrem Schöpfer eigentlich antun. In welche Dunkelheit sie beide hinabstoßen. Welche grausige Metaphysik da entsteht, wo sie sich in ihrer Gier nach Macht und Lust abreagieren. Welche Einsamkeit da herrscht. Welcher Schmerz. Sie wissen nicht, was sie tun, aber sie können es tun.

Als Jesus sich in diesen Abgrund selber hineinfallen lĂ€sst, betet er: “Vater, vergib ihnen.” Diese FĂŒrsprache geht mir zu weit. Sie ĂŒbersteigt meine Möglichkeiten, denn sie reicht weiter und tiefer, als ich verstehen und wollen kann. Es ist ein Reich des Todes, wohin Christus hinuntergeht, vor dem ich bewahrt werden möchte. Hoffentlich muss ich nie in so einen Abgrund hinab, und hoffentlich öffnet sich sowas nie in mir selbst. Ich möchte nie so Opfer und nie so TĂ€ter sein. Davor will ich notfalls fliehen, wie die 10 JĂŒnger geflohen sind, und muss doch zuschauen, was in Dokumentationen und Interviews wieder Neues aufgedeckt wird. “Es standen alle seine Bekannten von ferne 
” (Lukas 23,49)

Dem sich sicher wĂ€hnenden Beobachter legt das Evangelium eine Frage nahe. Diese Frage verstellt mir die Fluchtwege, in die Benedikt und Drewermann auszuweichen versuchen. Es ist die Frage der JĂŒnger, als Jesus diesen Verrat voraussagt. „Herr, bin ich’s?“ (Markus 14,19) Judas hĂ€tten sie alle sein können. Niemand kann fĂŒr die Kirche, fĂŒr Kirchenleitungen, fĂŒr Kolleginnen und Kollegen und fĂŒr Mitchristen, noch nicht einmal fĂŒr sich selbst die Hand ins Feuer legen. Niemand kann sagen: So etwas gibt es in unserem Laden nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis du zweifeln musst und widerlegt wirst. Es dauert nicht sehr lange, bis der dĂŒnne moralische Selbstschutz schließlich doch Risse bekommt. Das heile Selbstbild kann so grĂŒndlich entzweigehen, wie der schĂŒtzende Vorhang zum Allerheiligsten in der Todesstunde Jesu von oben bis unten zerriss. Es gibt keine Garantie. Es gibt keine Immunisierung. Und es gibt keinen Weg zurĂŒck in den Optimismus des Völkerapostels Paulus.

Selbst Paulus, der sich entschieden um Rechtschaffenheit und IntegritĂ€t bemĂŒhte und an sie glaubte (siehe oben), kannte diesen Selbstzweifel. „Zwar bin ich mir keiner Schuld bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt. Der Herr ist es aber, der mich richtet und das Trachten der Herzen offenbar machen wird.”

9. Schlussfolgerungen

Was bleibt? Angesichts der Entsetzlichkeiten, die seit Jahren und wahrscheinlich auch in nĂ€chster Zeit weiter enthĂŒllt werden, sind die Liebe zur Wahrheit und das Ringen um Gerechtigkeit die Gebote der Stunde. Um der betroffenen Menschen willen, um ihrer Wiederherstellung willen muss Wahrhaftigkeit in die Kirchen einkehren, gerade dorthin, wo es schĂ€ndlich und beschĂ€mend zugegangen ist. Judas gehört auch zu uns und zu unserer Wirklichkeit. Um des Evangeliums willen muss der Geist der Wahrheit bei uns einkehren. Es hat immer noch eine Erneuerungskraft in sich, die dem Bösen doch gewachsen ist. Auch dafĂŒr muss gerungen werden, denn wir haben sonst nichts. Nur das Evangelium, das unsere Kirche in dieser Welt notwendig macht.

Was bleibt? Eine Einsicht: Siegesparaden, Glanz-Auftritte kann es fĂŒr das Christentum in unserer Zeit nicht mehr geben. Diesen Joker haben wir wiederholt verzockt. Aus dem Prozess der notwendigen SkandalaufklĂ€rung sollte deshalb niemand als Held hervorgehen wollen. Wildes Urteilen von der ZuschauertribĂŒne hilft genauso wenig wie die öligen Empathieworte von Bischöfen in Pressekonferenzen, die noch kaum konkrete Konsequenzen gezogen haben. In unseren Kirchen haben wir keinen Grund, in irgendeiner Richtung pathetisch zu sein. Mit demonstrativer Betroffenheit können wir noch keine IntegritĂ€t zurĂŒckbekommen, und konkrete Hilfe fĂŒr die Menschen braucht ProfessionalitĂ€t, Transparenz und Verbindlichkeit. Von den Betroffenen, die reden, können wir lernen. Wahrheitsliebe. Im Moment wĂŒsste ich keine andere Medizin.

An den Schluss stelle ich biblisches Zitat, aus der ich eine Mahnung fĂŒr uns Kirchenleute höre. Paulus konnte nicht wissen, in welche ErschĂŒtterungen das Christentum einmal geraten sollte. Er hat einen schlichten und großen Satz an die unbĂ€ndige, zerstrittene, zĂŒgellose und verwirrte Korinthergemeinde geschrieben, von der hier wiederholt die Rede war und die das Christentum bis heute geblieben ist. „Wer meint, er stehe, soll zusehen, dass er nicht falle.” (1. Korinther 10,12)

Werner Busch

Nachtrag im Januar 2022:

Ein Gutachten zu MissbrauchsvorfĂ€llen in der Erzdiözese MĂŒnchen und Freising hat VorgĂ€nge untersucht, die zur Amtszeit von Erzbischof Josef Ratzinger, dem spĂ€teren Papst Benedikt XVI., dort stattgefunden haben, siehe in dem Gutachten S. 682-754. Die Stellungnahme von Papst em. Benedikt XVI. finden Sie im Anlagenband unter Anlage 2, im pdf-Reader ab Seite 1276.

Weihnachten in St. Katharinen

Herzlich willkommen zu unseren Gottesdiensten an den Festtagen!

Heiligabend, 24. Dezember 2021
16 Uhr: Christvesper mit Kantorei (Ltg. Christine Strubel), Gabriele Carl-Liebold (Orgel), Werner Busch.
18 Uhr: Christvesper mit Melina Becker (Sopran), Eugen Wall (Saxophon), Wolfgang Bretschneider (Orgel), Werner Busch.
23 Uhr: Musikalische Christnacht mit Familie Hecker (Kammermusik) und Werner Busch.

Erster Weihnachtstag, 25. Dezember 2021
10.30 Uhr: Festgottesdienst mit der 2. Kantate des Weihnachtsoratoriums.

Zweiter Weihnachtstag, 26. Dezember 2021
10.30 Uhr: Festgottesdienst mit Dorothea und Katharina Philipps, Wolfgang Bretschneider (Orgel) und Pfarrer i.R. Wolfgang JĂŒnke.

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Zu Recht erwarten Sie unter diesen besonderen UmstĂ€nden Informationen ĂŒber unser Hygienekonzept.

Ihr Anwesenheit dokumentieren Sie bitte mit Hilfe eines QR-Codes ĂŒber die Luca-App oder fĂŒllen einen Anwesenheitszettel aus. Sie können das eine oder das andere an Ihrem Sitzplatz tun und bitte nicht im Eingangsbereich, da wir ungĂŒnstige Staubildung vermeiden möchten. Den Zettel deponieren Sie bitte beim Verlassen der Kirche am Ausgang. Wir verwenden ihn datenschutzkonform und ausschließlich fĂŒr den Fall der Notwendigkeit einer infektionsbedingten Kontaktnachverfolgung.

Der Kirchenvorstand hat mit RĂŒcksicht auf die Lage folgende Regelungen getroffen, die wir Ihnen mit der Bitte um VerstĂ€ndnis und Beachtung ans Herz legen:
1. Die Masken sind wÀhrend des Aufenthaltes in der Kirche durchgehend aufzubehalten.
2. Es ist leider kein Gemeindegesang möglich.
3. Zur Einhaltung der AbstÀnde haben wir an den BÀnken die PlÀtze ausgemessen und entsprechend gekennzeichnet.

Die PlatzkapazitĂ€ten in unserer Kirche sind insbesondere durch die Abstandspflicht zwar begrenzt, auf Grund der großen Hallenkirche dennoch großzĂŒgig. Bitte lassen Sie sich von unseren Mitarbeitern am Eingang auf geeignete Sitzmöglichkeiten hinweisen.

Das Team von St. Katharinen freut sich auf Sie.
Wir wĂŒnschen Ihnen gesegnete Weihnachten!

W. Busch

Neues Angebot: Blechblasinstrument erlernen

Start im November: Neuer AnfÀngerkurs usneres Posaunenchores!

Nach dem letzten erfolgreichen Durchgang bietet die Kirchengemeinde St. Katharinen in Braunschweig einen neuen AnfĂ€ngerkurs fĂŒr den bestehenden Posaunenchor an. Er beginnt im Monat November, die Kennenlern- und Einstiegsmöglichkeiten sind an den kommenden Donnerstagen im Großen Saal des Gemeindehauses am Hagenmarkt: 11. und 18. November, jeweils um 17 Uhr. Es gilt die 3-G-Regel, ein Hygienekonzept ist in Geltung. „Eine verbindliche Anmeldung ist erst nach den ersten 2 bis 3 Schnupperterminen erforderlich“, erklĂ€rt Gemeindepfarrer Werner Busch. Dann wird gegen einen geringen monatlichen Teilnehmerbeitrag durch ausgebildete Instrumentallehrer/innen das Musizieren mit einem Blechblasinstrument erlernt: Trompete, Posaune oder Tuba. Besondere musikalische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich, Instrumente können ausgeliehen werden. Interessenten melden sich bitte beim Leiter und Kantor Wolfgang Bretschneider wolfgang.bretschneider@nulllk-bs.de oder im GemeindebĂŒro 0531 44 66 9. Die Verantwortlichen haben bereits einige Jahre Erfahrungen mit AnfĂ€ngerkursen gesammelt. „Das gemeinsame Musizieren trĂ€gt zu einer kreativen und humorvollen GruppenatmosphĂ€re bei“, berichtet Bretschneider. „Wer regelmĂ€ĂŸig ĂŒbt, macht schnelle Fortschritte und bekommt Erfolgserlebnisse.“ Das stilistische Repertoire reicht von Barock bis Romantik, aber auch moderne Pop- und Jazzmusik kommt regelmĂ€ĂŸig zum Zuge.