Am 21. Juni 2025 wird die Propstei in einer öffentlichen Veranstaltung die Gelegenheit nutzen, die Reformvorschläge der Landeskirche zu bedenken. Unsere Kirchengemeinde lädt zur Gemeindeversammlung am Sonntag, 29. Juni ein.
Mit welchen Gedanken geht unser Gemeindepfarrer Werner Busch auf diese Diskussionen und Veränderungsdebatten zu?
Das Urteil von Fachleuten in ihrem Wissens- und Erfahrungsfeld ist nicht immer genau, manchmal getrübt. Immer einmal wieder werden unausgewogene Entscheidungen getroffen. Statistische Untersuchungen haben z.B. ergeben, dass Richtersprüche vom Wetter abhängen können und tendenziell milder oder härter ausfallen, je nach zeitlicher Nähe zur Mittagspause. Trotz bestem Willen und hervorragender Ausbildung. Der israelisch-amerikanische Psychologe Daniel Kahlemann sieht die Ursache im Phänomen „Noise“, englisch für „Geräusch“. Es gibt eine Art innerer Ablenkung, die man an sich selbst kaum bemerkt. Irgendetwas in uns selbst verzerrt Wahrnehmung und Urteilsvermögen.
Die ersten Mönche im Früh-Christentum waren Einsiedler in der ägyptischen Wüste. Man nannte sie Eremiten (Wüstenbewohner), genauer noch: Anachoreten („Rück-Zügler“), die in fast völliger Einsamkeit sich ganz Gott weihten. Von ihnen heißt es, sie haben dort mit Dämonen gekämpft. Die äußere Stille ließ es in ihrem Inneren erst einmal höllisch laut werden. Die totale Beruhigung um sie herum machte zunächst ihre eigenen Seelen wild und unzähmbar. „Noise“. In Selbstgesprächen spielen Menschen oft die Konflikte ihres Lebens in einer Endlosschleife durch. Du bist in Gedanken versunken, siehst und hörst die Welt um dich herum nicht.
Etwas Ähnliches erzählt die Versuchungsgeschichte schon von Jesus. Nach seiner Taufe ist er zum einsamen Fasten in die Wüste gegangen. Matthäus 4 malt das in teils surrealen Szenen aus. „Der Teufel stellte ihn auf den obersten Rand der Tempelmauer …“ und „… zeigte ihm alle Reiche der Welt …“. Hier begegneten Jesus die diabolischen Verführungen: übersteigerte Selbstwirksamkeit, sorglose Unverwundbarkeit und ungehemmte Herrschsucht. Es war die Versuchung, die Grenzen des Humanen zu überwinden. Doch Jesus blieb ganz Mensch, Mensch vor Gott. Er wehrte sich gegen diese Einflüsterungen, indem er sich auf Gottesworte berief. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund geht.“ Die Haltung des Hörens macht dich menschlich.
Im Alten Testament hat der junge König Salomo für den Amtsantritt seines Königtums einen Wunsch frei. Seine Bitte lautet: „Ich bin noch jung, weiß weder aus noch ein. Ich stehe mitten in Deinem Volk, das Du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. So wollest Du mir ein hörendes Herz geben, damit ich Deinem Volk gerecht werde und verstehe, was gut und böse ist.“ (1. Könige 3). Ein Gebet, von dem man sich wünscht, dass es auch unsere Regierenden kennen und beten. Ein Gebet, das sich auch in unseren Kirchenleitungen, Synoden und Gremiensitzungen finden möge. Denn bundesweit wird in den evangelischen Landeskirchen über tiefgreife Strukturreformen diskutiert. Es entsteht viel Unruhe in den Gremien bei Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Da ist „Noise“ mit allerhand Versuchungs- und Beunruhigungs-Potential. EIN Impuls aber hat sich seit einiger Zeit an vielen Orten in diese Debatten eingeschlichen. Er ist in unserer und auch in anderen Landeskirchen inzwischen zu einem stehenden Begriff geworden. Unsere Kirche soll eine „hörende Kirche“ werden. Ist das nur ein frommer Wunsch? Oder gar eine Beruhigungs-Masche, ein religiöser Trick, damit die Menschen still sind und mitmachen? Das wäre zu schade um die tiefe Weisheit, die in diesem Gedanken steckt.
Im ersten großen Apostelkonzil (Apostelgeschichte 15), nachdem man schon „lange gestritten“ hatte, mahnte Petrus zur Besinnung auf den Kern des Evangeliums. „Wir glauben doch, durch die Gnade des Herrn Jesus selig zu werden. Da schwieg die ganze Menge still und hörte Barnabas und Paulus zu und sie erzählten.“ Sie diskutierten, indem sie einander zuhörten und ein offenes Ohr für die unterschiedlichen Erfahrungen hatten. Nicht alle mussten gleich glauben, gleich denken, gleich werden. Man fand das zur Einheit Nötige und ließ viel Spielraum. Schließlich trafen sie eine gemeinsame Entscheidung. „Da beschlossen die Apostel und Ältesten mit der ganzen Gemeinde …“ in großer Übereinstimmung. Der „magnus consensus“, der aus dem Einander-Zuhören und miteinander beraten kommt, kann ein Merkmal für das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche sein. Dieses Wirken und eine weitgehende Einmütigkeit wünsche ich unserer Landeskirche für die schwerwiegenden Entscheidungen, zu der sie gerade Anlauf nimmt.

Werner Busch (Foto: Michael Schulze)