Bauwerksgeschichte

Um 1160 wurde auf Initiative Heinrichs des Löwen das Weichbild Hagen gegründet. Zur Entwässerung des sumpfigen Oker-Niederungsgebiets wurden Fachleute aus den Niederlanden und Flandern angeworben. In der planmäßigen Anlage des Grundrisses für diese Teilstadt waren der Hagenmarkt und der Standort für die Pfarrkirche von Beginn an freigehalten. In der 1227 erfolgten Stadtrechtsverleihung an den Hagen durch Herzog Otto das Kind war auch die freie Pfarrerwahl an St. Katharinen enthalten.

St. Katharinen (ev. Pfarrkirche)

Der Baubeginn der Katharinenkirche ist in den Jahren um 1200 anzusetzen. Wie an St. Martini zu beobachten, galt auch für diesen Kirchenbau das Vorbild des Doms St. Blasius. Somit entstand in Braunschweig die dritte, große kreuzförmige und dreischiffige Basilika mit Westbau. Hauptchor und Querarme waren mit Apsiden ausgestattet. Das System der Einwölbung mit Kreuzgratgewölben und die Gestaltung der Pfeilerarkaden zwischen Mittelschiff und Seitenschiffen entsprach ebenfalls den genannten Vorbildern. So ist das Mittelschiff des Langhauses von einer einheitlichen, vierjochigen Wölbung ohne trennende Gurtbögen gekennzeichnet. Die kreuzförmigen bzw. quadratischen Pfeiler wurden mit schlanken Ecksäulchen besetzt.

Mit dem Baubeginn des westlichen Turmriegels um 1230 war das Langhaus wohl weitgehend vollendet. Der ungemein schlank aufstrebende Westbau dokumentiert eine Baugeschichte, die von mehreren Unterbrechungen gekennzeichnet ist. Sie zog sich über fast zwei Jahrhunderte hin.

So zeigen die einzelnen Stockwerke des Turmwerkes in eindrucksvoller Weise den Übergang von der Spätromanik über die Früh- zur ausgeprägten Hochgotik, während die Turmschäfte und -helme bereits in das Spätmittelalter datieren. Das spätromanische Untergeschoss (um 1230) präsentiert sich als Block, der durch Lisenen in drei Abschnitte gegliedert ist und mit einem Rundbogenfries abschließt. Im mittleren Abschnitt befinden sich das rundbogige Säulenportal und darüber ein Rundfenster mit tief gestaffelter Rahmung. Im Innern öffnet sich der Eingangsraum auf ganzer Höhe zum Kirchenschiff. Er wird von einem Tonnengewölbe überdeckt. Dort ist die bauzeitliche Bemalung mit einem virtuellen Mauerwerksverband erhalten. Die Wandvorlagen in den Ecken deuten auf die ursprüngliche Planung eines Kreuzgratgewölbes.

Ganz anders zeigt sich das um 1240/50 entstandene Stockwerk über dem Sockelgeschoss. Dieser Teil der Turmfront ist in sich in zwei Geschosse unterteilt und bereitet mit seinen abgeschrägten Ecken die achteckigen Turmschäfte vor. An den Ecksituationen finden sich die charakteristischen Halbpyramiden. Einzigartig sind hier die kleinen, freistehenden Säulchen, die über Fabelwesen ruhen und mit Ranken-kapitellen enden. Die Gliederung des zweiten Stockwerks nimmt kaum Bezug auf das Sockelgeschoss. Die Turmkanten werden von Lisenen vorbereitet, die beiden Geschosse sind durch ein schmales Gesims getrennt. Spitzbogige Biforienfenster wechseln mit ebenfalls zweiteiligen Blendnischen. Das obere Mittelfeld gliedern schlanke Säulchen mit so genannten Wirteln (tellerartige Verankerungen). Abgeschlossen wird dieser frühgotische Abschnitt des Westbaus von einem gestuften Bogenfries. Das Vorbild für die Baugestaltung des frühgotischen Stockwerks ist in derzeitgenössischen Zisterzienserbaukunst (vgl. Walkenried, Riddagshausen) zu lokalisieren.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts wurden am Westbau die Turmschäfte und das prachtvolle Glockenhaus errichtet. Derzeit waren die Umbauarbeiten des Langhauses zur Hallenkirche wohl bereits vollendet. Die hohen, nur von kleinen Vierpassfenstern besetzten Unterbauten der Türme sind an den Kanten von Lisenen mit aufgesetzten Säulchen (Diensten) betont.

Ein Meisterwerk hochgotischer Architektur ist die riesige Glockenstube. Sie ist wie ein eigenständiges Giebelhaus zwischen die Türme gesetzt und hat ihr Vorbild in der gleichartigen Glockenstube des Doms. Die Giebelseiten öffnen sich mit Spitzbögen und reichem Maßwerk. Dort faszinieren besonders die Maßwerkrosen, welche die ihrerseits mit Maßwerk und Rosetten ausgestattete Bogenstellungen bekrönen.

Die oberen Stockwerke der Türme stammen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Während der Südturm 1379 mit einem steilen Helm vollendet werden konnte, blieb der Nordturm unvollendet. Er erhielt seine dreiteilige Turmspitze mit Laterne erst 1512. Die unterschiedlichen Abschlüsse der Turmwerke sind eine typische Eigenart der mittelalterlichen Braunschweiger Kirchen.

Während der abschnittsweisen Errichtung der Turmfront wurde die ursprüngliche, spätromanische Basilika umgebaut. Wie bei St. Martini erfolgte auch hier eine Umwandlung zur Hallenkirche mit gleich hohen und gleich breiten Kirchenschiffen. Wie an der Martinikirche wurden die Arbeiten in gleicher Weise und in mehreren Bauperioden vorgenommen.

Für 1252 liegt eine Baunachricht vor. Sie kann sich sowohl auf den Beginn der Umbauten am Langhaus, aber auch auf die Arbeiten am Westbau (frühgotisches Stockwerk) beziehen. Die Erweiterung des Langhauses zur Halle ist in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts zu datieren. Die bisherigen Zwischenpfeiler und Obergaden mussten herausgenommen werden, um das Mittelschiff auf ganzer Höhe zu öffnen. Das durchlaufende Kreuzgratgewölbe des Mittelschiffs blieb erhalten. An der Südseite wurde im Westjoch eines der ehemaligen Seitenschiffportale wiederverwendet. Beim nördlichen Pendant handelt es sich dagegen um die Neuschöpfung eines hochgotischen Portals mit reichen Laubwerkkapitellen. Die Anschlüsse der neuen Hallenseitenschiffe an das ehemalige Querhaus erhielten keine Strebepfeiler. Dort zeigen sich noch die ursprünglichen Eckbetonungen durch Lisenen.

Die Hochaltarweihe von 1321 weist auf eine Erweiterung des Chores hin. Diese wurde an das vorhandene Chorquadrat angefügt und setzt sich aus einem kurzen Gewölbejoch und einer abschließenden Chorapsis zusammen. Die Apsis umschließt sieben Seiten eines gedachten Zehnecks, übertrifft die Breite des Vorjochs und wirkt daher wie ein eigenständiger Kapellenraum.

Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurden schließlich die Seitenschiffe über das ehemalige Querhaus auf den Chor verlängert. Für diese Baumaßnahmen sind die Weihedaten 1383 bzw. 1401 überliefert. Damit erhielt die Katharinenkirche ihre endgültige Gestalt. Sie tritt, wie St. Martini, mit sieben übergiebelten Jochen in Erscheinung. Auch hier lässt sich die Baugeschichte anschaulich anhand des Wandels der Maßwerk- und Detailformen ablesen.

Die Kirche wurde im späten 19. Jahrhundert unter Leitung von Stadtbaurat Ludwig Winter restauriert. Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, die das Umfeld der Kirche vollständig verwüsteten, mussten die u.a. die Turmhelme neu errichtet werden. Für den erheblich nach Osten geneigten Westbau waren umfangreiche und komplizierte Sicherungsmaßnahmen erforderlich.

Aus der historischen Ausstattung ragen besonders die Epitaphien (Denkmäler für Verstorbene) aus der Spätrenaissance (um 1600) hervor. Das größte und bedeutendste Denkmal dieser Art ist das 1619 errichtete Schulenburgsche Epitaph. Es steht heute am Westende des Südseitenschiffs und beeindruckt mit seinem reichgestalteten architektonischen Aufbau.

 

 

 

 

 

 

Der Text und die Bilder wurden mit mit freundlicher Genehmigung des Autors Dipl.-Ing. Elmar Arnhold aus dem sehr empfehlenswerten Buch entnommen: Mittelalterliche Kirchen in Braunschweig.
Erschienen in der Reihe: Arnhold&Kotyrba: Architekturführer. Kotyrba-Verlag, Braunschweig, 2010, S. 24-29.