Corona – unbegreiflich? Erste Hilfe für die Krise.

Informationen
Informationen sind das Eine. In Ausnahmesituationen sind sie besonders wichtig. Über die amtlichen Mitteilungen und staatlichen Anordnungen zur Corona-Krise können Sie sich auf den Homepages der Stadt Braunschweig[1], des Landes Niedersachsen[2], der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung[3] und des Robert Koch-Institutes[4] informieren. Für diejenigen, die keinen Internetzugang haben: Die Stadt Braunschweig hat eine Informations-Hotline freigeschaltet: 0531 – 470 7000. Sie ist von Montag bis Freitag zwisch 7 und 18 Uhr, samstags und sonntags zwischen 10 und 18 Uhr erreichbar.

Angstbewältigung
Günter Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer, hält Informationen zwar für “das beste Mittel gegen Angst” (Phönix-Talkrunde). Doch zur Bewältigung der näher kommenden Bedrohungslage ist mehr nötig. Ich denke, das wird immer offensichtlicher. Denn inzwischen gibt es zahlreiche Kommentare, die versuchen, die Lage begreiflich zu machen. Das Nachdenken, die Suche nach Übersicht, Sinn- und Kraftquellen hat begonnen. Was bedeutet die Corona-Krise für unsere Gesellschaft? Für unsere persönliche Lebensführung? Wird hinterher wieder einmal “nichts mehr so sein wie vorher”[5]? Wie kommen wir da durch? Wie werden wir daraus hervorgehen? Es wird darüber gesprochen, dass wir mit dieser Pandemie gerade eine historische Zäsur erleben[6], eine Tiefenkrise, die eine “Story” hinterlässt. Man ahnt ein neues “Narrativ, das weit in die Zukunft weist”[7], eine Art neuer Gesellschafts-Mythos. Die menschliche Zivilisation “kann sich neu erfinden. System reset. Cool down! Musik auf den Balkonen! So geht Zukunft.”

Auch die Theologen-Zunft hat mit ihrer Deutungsarbeit angefangen. Der Bochumer Theologieprofessor Dr. Günter Thomas hat in einer 5-teiligen Reihe in den evangelischen Zeitzeichen unter dem Titel “Gott ist zielstrebig” über die Theologie im Schatten von Covid19 nachgedacht:[8] “Die Coronakrise führt zu einem tiefgreifenden Umbau der Bühne, auf dem die Kirche sich aufführt. Sie zieht alle Register der Theologie. Sie zwingt zu theologischer Ehrlichkeit und zu konstruktiver Auseinandersetzung.” Keine leeren Worthülsen mehr! Eine Marburger Pastorin, die selbst auf Facebook sehr aktiv ist, protestiert gegen die vielfachen Bemühungen von Kolleginnen und Kirchengemeinden, die sich jetzt mit Video-Clips im Netz an die Menschen wenden; sie plädiert dafür, in der jetzigen Lage das “Schweigen als Auftrag”[9] zu sehen. Mir kommen die an sich klugen Gedanken trotzdem wie ein Selbstwiderspruch vor. Weiter: Ein katholischer Theologe sagt, dass mit dem Aussetzen der Gottesdienste die Kirche endlich in der Moderne ankäme. Er will gar nicht zu Mobilisierung und Protest gegen das Gottesdienstverbot aufrufen, sondern vielmehr zu einer Kultur des Gottes-Hungers ermutigen. Beim Abschied von paternalistischer Bevormundung in einer Priester- und Papstkirche müsse endlich die geistliche Sehnsucht mündiger Laien neu gepflegt werden.[10] Ein anderer Beobachter mutmaßt noch allgemeiner und grundsätzlicher, dass “die Pandemie womöglich die Transzendenzvorstellungen der Menschheit verändert”[11]. usw. Auch hier: Weitwinkel, großes Bild, Gesamtdeutungsansatz. Ich frage mich: Ist die jetzigen Situation wirklich zur mystischen Erfahrung der Leere angetan, die Papst Franziskus in seiner Segensmesse am 27.3.2020 inszeniert haben wollte?[12] Auch die betonte Schließung des Braunschweiger Doms scheint mir, quasi als Nebenwirkung, auf dieses Thema zielen zu sollen. Kann man so aus einer praktischen Not eine theologische Tugend machen …?

Worum geht es eigentlich? Eine Kritik
All das und Ähnliches mehr[13] wird geschrieben und gedacht, noch bevor in unserem Land die erwartete “Welle” angekommen ist. Der Höhepunkt der Zahl der Infizierten mit einer entsprechenden Todesrate steht uns in Deutschland noch bevor [Stand 31.3.]. Welche menschliche und gesellschaftlichen Schicksale von dem Coronavirus ausgelöst werden können, bekommen wir mit den Nachrichten aus Italien, Spanien und aus Teilen der USA (New York) gezeigt. Man kann es kaum glauben und hält die Luft an. “Wenn ich an Deutschland denke in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.” Bereits jetzt werden einzelne lebenswichtige Operationen und Behandlungen abgesagt bzw. “verschoben”, um Intensivbetten für die befürchtete Belastungskrise vorzuhalten.

… erklärenwarnen handeln… deutenreformieren abwarten … berichten …
Seien wir ehrlich: Die Bedeutung und Wucht des Virus lässt sich gedanklich derzeit nicht fassen.

All die Philosophen und Philosophinnen – und die, die es gern wären –, die eine reale Extremsituation ausnutzen, um sich als Zeitdiagnostiker, Krisenauguren, Westentaschenrevolutionäre, Hobby-Ideologiekritiker inszenieren. Das Feuilleton-Personal plus Anhang, bekannt aus Print, Funk und Fernsehen, dem nichts Gescheiteres einfällt, als die Anstrengung zu verdoppeln, Halb- und Vierteldurchdachtes zum Besten zu geben. Es ist aber schlicht und ergreifend unanständig, eine reale Extremsituation von Menschen als Ressource für frei flottierenden philosophischen Existenzialismus zu begreifen und die ausgefallenen Vorträge dadurch zu kompensieren, dass man das Bisschen intellektuelle Substanz, über das man verfügt, Menschen in Not als Sinnstiftung oder Unterhaltung aufdrängt. Das ist instrumentelle Vernunft und es gehört sich nicht, existentielle Not zu bedienen, ohne sich selbst radikal klar darüber zu sein, ob das, was man anzubieten hat, den Menschen auch wirklich hilft, gut durchdacht ist und der Lage angemessen ist.” (Daniel-Pascal Zorn auf Facebook am 28.3.2020)[14].

Erste Hilfe für die kommenden Wochen – ein Versuch.
Denen unter uns, die als Eltern von Schulkindern oder UnternehmerInnen von großer alltäglicher Unruhe und bedrängenden Existenzsorgen geplagt sind, wünsche ich alle Kraft und Umsicht für die nächste Zeit. Wenn Sie zwischendrin ein offenes Ohr brauchen, ein Gespräch zum Verschnaufen: Rufen Sie mich gerne an.

Allen, die sich derzeit wie in einem unsicheren Schwebezustand vorkommen und sich von vielen Gedanken hin- und hergeworfen fühlen (mal ängstlich, mal mal entspannt, mal euphorisch, dann wieder unruhig) , möchte ich hier weitergeben, was ich selbst in diesen Wochen zu praktizieren versuche:

Viel Tagebuch schreiben.
Gelegentlich alte Fotos anschauen.
Lange Spaziergänge machen.
Zu zweit. Und allein.
Zum Nachdenken. Zum Reden.
Genug schlafen und gut Essen.
Mit einem Glas Wein oder frisch gepresstem Saft.
Die Ruhe nutzen.
Zum Beten.
Zum Lesen.
In Büchern, nicht nur Artikel.
Auch die Bibel.

Ich denke, so können wir die Ausdauer unseres inneren Menschen trainieren.
Um langsam wieder einen Aussichtspunkt zu erklimmen, von dem aus etwas mehr zu sehen ist als nur das Nächstliegende.
Und wo wir anderes hören als das, was schon immer in uns geunkt hat.

Bleiben wir verbunden.
Und haben aufeinander acht.

Herzlich
Ihr

Werner Busch, am 31. März 2020

 

[1] https://www.braunschweig.de/aktuell/aktuelle-informationen.php .

[2] https://www.niedersachsen.de/Coronavirus .

[3] https://www.infektionsschutz.de/coronavirus .

[4] https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4 .

[5] Jürgen Kaube in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 15.3.2020: “Wird nichts so sein, wie es vorher war?” https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/corona-pandemie-wird-nichts-so-sein-wie-es-vorher-war-16678251.html?GEPC=s2&fbclid=IwAR3Licd2kQxu4OoTbd7eOmfEh-NKGHAalGdFu1x1Zxn4kTsSCcqBCjN6Oy0 .

[6] Interview mit Herfried Münkler in Augsburger Allgemeinen Zeitung am 26.3.2020 https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Historiker-Herfried-Muenkler-Krise-ist-Test-fuer-die-liberale-Demokratie-id57128971.html .

[7] Matthias Horx, 48 – Die Welt nach Corona. Die Corona-Rückwärts-Prognose: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise „vorbei” ist:  https://www.horx.com/48-die-welt-nach-corona .

[8] https://zeitzeichen.net/index.php/node/8206 .

[9] Katharina Scholl, Schweigen als Auftrag. Wider den kirchlichen Aktionismus in der Coronakrise: https://zeitzeichen.net/index.php/node/8209 .

[10] Henning Klingen, Epochale Zäsur, am 20.3.2020 in: https://www.deutschlandfunk.de/corona-krise-und-kirchen-epochale-zaesur.886.de.html?dram:article_id=472774 .

[11] Schicksalsfragen in Zeiten der Pandemie. Ein Kommentar von Daniel Deckers, am 22.3.2020 in: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kirchen-und-corona-schicksalsfragen-in-zeiten-der-pandemie-16691167.html .

[12] Texte auf www.feinschwarz.net versuchen die jetzige Situation der großen Gottesdienstunterbrechung als eine grundsätzliche geistliche Gelegenheit zu begreifen, z.B.: Rainer Bucher, Die Chance der leeren Kirchen.

[13] Heribert Prantl hat am 22.3.2020 in Prantls Blick die gegenwärtige Corona-Bedrohung als Stichwortgeber für den internationalen Tag gegen Rassismus verwendet. “Es gibt ein Virus, das noch gefährlicher ist als das Coronavirus. Virus R – R wie Rassismus.”

[14] Seine Kritik zur “metaphysischen Pandemie” bezieht sich auf Äußerungen des Bonner Philosophen Marcel Gabriel: https://www.uni-bonn.de/neues/201ewir-brauchen-eine-metaphysische-pandemie201c .