Bibel-Werbung unter der Lupe: Auskopplung Nr. 2

Vor wenigen Wochen erst hat Prof. Dr. Christoph Markschies aus Berlin eine schwungvolle und sehr sympathische Kaufempfehlung für die frisch veränderte Bibelausgebe gegeben.[1] In den 72 kurzen Sekunden erwähnt der Vorsitzende der Kammer für Theologie der EKD 11 x den Namen Luther. Das muss man rhetorisch erst mal hinkriegen. Die Gründe, warum Herr Markschies die Bibel empfiehlt, sind überwiegend ästhetischer Natur. Ein schönes Buch mit einer wunderbaren Sprache, gerade recht für den bibliophilen, bildungsbürgerlich interessierten Leser. Recht hat er. Und ja, in der deutschen Sprachgeschichte ist Luther noch Held geblieben, in jener Bastion, die ihm keiner nehmen kann. Auf diesem kulturellen Sektor ist er nach wie vor unangefochten. Die Bibel-Empfehlung gerät zur Laudatio auf die Sprachkunst des Übersetzers. Dass die große Sprachkraft der Bibel schon im Original begründet liegen könnte, taucht als Gedanke an diesem leuchtenden Horizont leider nicht auf. Überhaupt ist der humanistisch-reformatorische Grundsatz „ad fontes“ – zurück zu den Quellen! – bei der ganzen Lutherei völlig verschwunden. Oder hält man inzwischen Luther für die Quelle? Das kann ich mir bei dem rennommierten Professor für die Kirchengeschichte mit Schwerpunkt auf die Zeit der Alten Kirche nicht vorstellen. Die Werbe-Rede bleibt mir in dieser Hinsicht unverständlich.

Dr. Christoph Rösel, Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart, ist einen seinen Aussagen da eindeutiger. Er bezeichnet die Lutherbibel in einem Werbeclip als „ein Buch aus dem 16. Jahrhundert“[2]. Würde er in gleicher Weise Platons Dialoge als Literatur des 19. Jahrhunderts bezeichnen, nur weil Friedrich Schleiermacher sie übersetzt hat? Herr Rösel formuliert die Hoffnung, dass die neue Revision der Lutherbibel „zu einem Türöffner wird, um sich selbst auch an das Ereignis der Reformation anzunähern“[3]. Obwohl die Bibel davon natürlich nichts weiß und nur in ihren farblich schön gestalteten Beigaben darüber einige Auskünfte gibt. Aber was ist das anderes als die Empfehlung, auf dem Weg zur Quelle die Reise nach dem ersten Viertel schon zu beenden? Auch Rösel hebt ganz auf den besonderen sprachgeschichtlichen Aspekt ab: „Es gibt kein Buch in der deutschen Sprache, das für die Entwicklung unserer Sprache und Kultur so wichtig gewesen wäre wie die Lutherbibel.“[4] Ende der Durchsage. Mehr Gründe braucht‘s nicht. So ganz frei von Nationalismen sind die Lutherei und die Bibelei also auch heute nicht. Deutsche Sprache und deutsche Kultur – ich schätze das und bin selber sehr sprachverliebt, meine Predigthörer wissen das – aber soll uns das ernsthaft als das Thema der Bibel und als die Motivation für ihre Lektüre empfohlen werden?

Sollen wir mit unserem Reformationsgedenken im 16. Jahrhundert hängen bleiben? Die Ereignisse und Persönlichkeiten der Reformation sind uns wie ein bunter Vorhang ins Blickfeld gehängt worden. Wer im Sinne der Reformation Reformation feiern möchte, sollte einmal den Vorhang zur Seite schieben, um freie Sicht dortin zu nehmen, wo auch nach reformatorischem Verständnis der Urlsprung des Glaubens, die Basis von Kirche- und Christsein liegt.

2017 wäre ein gutes Jahr für ein großes theologisches Plädoyer.
Ein frischer Ruf zurück zu den Quellen.
Ein uns im 21. Jahrhundert wirklich erreichendes:
Ad Fontes!

2017 hat gerade erst begonnen.
Es ist noch Zeit dafür.

Werner Busch

 

Eine ausführliche Radio-Dokumentation zu Bibelübersetzungen im Mittelalter können Sie hier nachlesen bzw. nachhören.

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[1]  http://www.evangelisch.de/videos/136606/10-10-2016/christoph-markschies-braucht-jeder-eine-neue-lutherbibel

[2]  https://www.youtube.com/watch?v=3nfYm2yXBPY (siehe bei 0:55 sec). In demselben Video-Clip beschreibt der Vorsitzende des Lenkungsausschusses Prof. Dr. Christoph Kähler die Ãœberraschung, dass man bei der Revision wieder mehr zu „weil wir an vielen Stellen gemerkt haben, Luthers ist selber schon genauer gewesen als die, die ihn hinterher meinten korrigieren zu müssen.“

[3]  Ebd. Minute 4:24

[4]  Ebd. Minute 4:45

Dieser Text ist Auskopplung Nr. 2 aus dem Eröffnungsvortrag von Werner Busch zum 31. Oktober 2016, überarbeitet. Auskopplung Nr. 1 zum „Personalen Narzismus“ finden Sie hier.