Terror und Feindesliebe

Aus aktuellem Anlass hören und lesen Sie hier einen Beitrag zu einem konkreten Problem der evangelischen Ethik in unserer Gegenwart. Ein Interview mit der Botschafterin des Rates der EKD Brudermord Kirchenfensterfür das Reformationsjubiläum Dr. Margot Käßmann am 26.5.2016 wurde zum Anlass für die Beschäftigung mit dem brisanten Thema „Terror und Feindesliebe“. Im offenen Thementreff „Mittwochnachmittag an St. Katharinen“ am 14. April 2016 hat Pfarrer Werner Busch dazu einen Vortrag gehalten.

Manuskript des Vortrages

Audio-Dateien zum Nachhören

Link zum Wortlaut der Friedensrede Dietrich Bonhoeffers in Fanö 1934.

Kurzfassung :

Theologische Irritationen

Botschafterin M. KäßmannDie Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017 Dr. Margot Käßmann ist bekannt dafür, dass sie pointiert in öffentliche Diskussionen eingreift. Mehr als einmal hat sie damit Debatten provoziert. Kurz vor  Ostern 2016 hat die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD ein Anliegen in das öffentliche Gespräch über die jüngsten Terroranschläge in Brüssel gebracht, das in der Luft lag. Natürlich fragt man sich als Christ angesichts der dramatischen Ereignisse unwillkürlich, ob Jesu Gebot der Feindesliebe zum Thema Terrorismus etwas zu sagen hat und wenn ja, was. Frau Käßmanns Diskussionsbeitrag war geschickt platziert und sollte einer breiten Öffentlichkeit zu diesem aktuell brennenden Thema in dieser Richtung etwas zu denken geben.

 

Erlebte FeindschaftBrudermord Kirchenfenster

Dass es bei den Terroranschlägen in Brüssel um schreckliche Akte der Feindschaft gegen das westliche Gesellschaftskonzept ging, stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch am Tag dieser Anschläge, dem 22. März 2016, fest. „Die Täter sind Feinde aller Werte, für die Europa heute steht“, sagte sie in einer Pressekonferenz. Am selben Tag hat auch der amtierende Ratsvorsitzende der EKD Dr. Heinrich Bedford-Strohm die Anschläge mit scharfen Worten verurteilt: „Terror ist Gotteslästerung.“

 

„Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen!“

Einen anderen Akzent setzte einige Tage später Frau Käßmann. Sie brachte in einem Interview in der BILD- Zeitung vom 26.5.2016 (Karfreitag) explizit den Begriff der Feindesliebe ins Spiel. Darüber wurde danach zwar nicht auf der Homepage der EKD, jedoch in regionalen und überregionalen Zeitungen berichtet. Den Terroristen – so Käßmann – sei dem Gebot Jesu entsprechend mit Liebe und Gebet zu begegnen, unbeschadet der allgemeinen Schutzfunktion des Staates, die sie damit nicht in Frage gestellt sehen möchte. Als „die größten Persönlichkeiten der Weltgeschichte“ erwähnte sie (auf den praktizierten Gewaltverzicht anspielend) Martin Luther King, Mahatma Gandhi und Aung San Suu Kyi. In der Konkretion ihres Appells blieb die frühere hannoversche Landesbischöfin dann allerdings etwas ungenau. Sie plädierte vor allem für die unbeirrte Fortsetzung unserer freiheitlichen Lebensweise – nach der populären Devise „Jetzt erst recht“. Dass dadurch noch keine wirksame Entfeindung erreicht werden kann, ist klar. An der Option, seinen Gegnern – immerhin Tätern schlimmer Gewalttaten – zu vergeben, hält Margot Käßmann allerdings trotz der Dramatik der Ereignisse weiterhin fest, auch wenn man das von den Betroffenen natürlich nicht erzwingen könne.

 

„Was sollen wir tun?“

In einigen Zeitdavungen und Blogs wurden Käßmanns Impulse aufgegriffen und kontrovers diskutiert. Zu Recht hat die Debatte vor allem den zentralen und anspruchsvollen Begriff der Feindesliebe aufs Korn genommen. Die Reaktionen reichten von vorsichtiger Zustimmung („Einen Versuch ist es wert.“) bis zu strikter und grundsätzlicher Ablehnung der Äußerungen von Frau Käßmann als  „nicht christlich“ und überzogen. Das nötigt Leserinnen und Leser dazu, sich Fragen stellen. Wie höre ich die Gebote Jesu? Zunächst scheint es zwei einander entgegengesetzte Alternativen zu geben. (1) In der einen geht es um eine produktive Verstörung. Das Gebot der Feindesliebe soll vor allem das Bewusstsein verändern und die Vergeltungslogik durchbrechen. Auf der pragmatischen Ebene liegt dann der Akzent auf friedensfördernden Maßnahmen (vgl. Römer 12,18), nicht jedoch auf Selbstauslieferung. (2) Im anderen Fall wird die Forderung der Feindesliebe dem Wortlaut nach konsequent weitergedacht. Folgerichtig fürchtet man, dass daraus unmittelbar konkretes Handeln im Sinne eines radikalpazifistischen Gewaltverzichtes abgeleitet werden solle. Das könne kein Maßstab sein, protestieren die Gegner dieser Anschauung, und reflektieren die Gründe dafür. Wer hätte das Recht, dies für sich und darüber hinaus sogar für andere zu entscheiden? So wird die Debatte zu einer Lektion über moralische Urteilsbildung.

 

Kommentar

Dieses Thema ist im Zeitalter terroristisch geschürter Feindschaft ein wichtiges Bewährungsfeld für den christlichen Glauben. Unklar ist nur, in welchem Sinne! Halten wir zunächst fest, dass es ein unausweichliches Thema für uns ist, nicht zuletzt deshalb, weil wir tatsächlich religiös motivierte Feinde haben, die unsere westliche Lebensweise angreifen. Man muss Frau Käßmann danken, dass sie die untergründig schwelenden Fragen rund um die Feindesliebe durch ihre Interview-Antworten hervorgeholt hat. Im populären Verständnis Buschgilt die Bergpredigt ja nach wie vor als   d i e   Botschaft Jesu, und sein Gebot der Feindesliebe ist sicher das prominenteste Wort. Daher kommt man als Christin und Christ nicht umhin, angesichts des grassierenden Terrors und zunehmender Polarisierungen in den westlichen Gesellschaften sich diesen Worten Jesu neu zu stellen. Anstatt schnelle „Anwendungsergebnisse“ zu extrahieren sollte man sie zunächst eingehend meditieren.

Eine Beobachtung in den Texten der Bergpredigt: Jesus spricht über situative Einzelbegegnungen. „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete auch die linke dar.“ (Matthäus 5,39) Es ist ein Merkmal seiner Verkündigung, dass er auf konkrete Momente zielt und oft den Einzelnen im Blick hat, auch wenn eine Masse ihm folgt. Solche Situationen qualifiziert Jesus als erfüllte Zeit, als „kairos“. Seine Anwesenheit, sein Wort und der konkrete Mensch am Wegesrand machen den Augenblick zu einer Gelegenheit für das, was von Gott her an der Zeit ist. „Jetzt ist der Tag des Heils.“ Wie beim Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lukas 10) geht es auch bei der Feindesliebe darum, dass ich überraschend in eine Begegnung kommen kann, die mich unerwartet fordert. „Wenn jemand mit dir streiten will und deinen Mantel von dir fordert …“ „Wenn dich jemand nötigt, eine Meile mit zugehen …“ In solchen Begegnungen rückt etwas Außerordentliches zum Greifen nahe: eine konkrete und beherzte Tat der Liebe zu diesem Nächsten. Zu diesem Fremden. Ja, auch zu diesem Gegner. Beispiele dafür gibt es auch heute. Sie zeigen, dass die Worte Jesu nicht zwingend in intellektuelle Sackgassen oder seelische Verkrampfungen führen müssen. Sondern: Seine Wort „sind Geist und sind Leben.“