Der erste Kontakt mit Erik Flügge kam vor ca. einem Jahr zustande. Werner Busch hatte ihm auf den Text seiner Gießener Reformationsrede geantwortet. Zum Reformationstag 2018 hat der Katharinenpfarrer den Autor und Politikberater dann nach St. Katharinen eingeladen, in Zusammenarbeit mit der Akademie Abt Jerusalem und der Evangelischen Erwachsenenbildung Niedersachsen.
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Von Cornelia Steiner BZ
In die Debatte zu dieser Frage mischt sich regelmäßig der Politikberater und Autor Erik Flügge ein. Der Katholik aus Köln provoziert mit seinen Thesen. Etwa mit jener, dass die Kirche am Ende sei, wenn niemand wirklich an die Auferstehung glaube. Oder mit der, dass die Kirche nur überlebe, wenn sie missioniere und an den Haustüren ihrer Mitglieder klingele. Am Reformationstag hielt er einen Vortrag in der St.-Katharinen-Kirche . Der Titel: Traust Du Dich, von Gott zu sprechen?
Sein Vortrag hatte so kräftige Diskussionen hervorgerufen, dass Pfarrer Werner Busch alle Interessierten kürzlich zum Austausch darüber einlud. „Wir haben selten so starke verschiedene Reaktionen auf eine Rede gehabt“, sagt Busch. Im Interview erläutert er mehr zu der Veranstaltung, die er mit der Evangelischen Akademie Abt Jerusalem und der Evangelischen Erwachsenenbildung organisiert hat.
Herr Busch, haben Sie Flügge eingeladen, weil er so provoziert?
Als 32-jähriger Akademiker repräsentiert er wahrscheinlich die Sichtweise eines Teils unserer Mitglieder, mit denen wir bisher wenig in Kontakt sind. Flügge beobachtet Kirche durchaus wohlwollend, aber mit einem kritischen Blick. Anregend für uns als Uni-nahe Gemeinde.
Kamen seine Anregungen an?
In der Diskussion fiel es schwer, seinem Zielgedanken etwas Weiterführendes abzugewinnen. Flügge hält den zwischenmenschlichen Kontakt für das A und O bei der Entstehung von Glaubensüberzeugungen. Er empfiehlt, wir sollten unseren „abwesenden“ Gemeindegliedern in spontanen Besuchen ein lockeres Kontaktangebot machen. Das wurde mit breiter Skepsis quittiert, obwohl es durchaus gute Erfahrungen gibt.
Und wie stehen Sie dazu?
Kontakt suchen, sich über Glauben und Leben austauschen – diese Haltung gefällt mir. Das Gespräch wogte aber mehr um seine Gedanken zur Bibelinterpretation, Vernunft und Auferstehung. Grundfragen des Glaubens. Das Verlangen nach guter theologischer Bildung an der Basis ist groß und für uns Pastorinnen und Pastoren ein Ansporn. Hierher gehört für mich besonders ein Diskussionspunkt, an dem sich viele gestört haben: Flügge hat die leibliche Auferstehung Jesu als Dreh- und Angelpunkt des Glaubens herausgestellt. Das erschien einigen Zuhörern als gravierender intellektueller Selbstwiderspruch in seinem Plädoyer für einen modernen, vernünftigen Glauben.
Sehen Sie das auch so?
Die Auferstehungsbotschaft ist der eigentliche Startschuss und Gedankenmotor für das Neue Testament. Die Texte sind jedoch zurückhaltender als Flügge. Er stellt sich den Auferstehungsmoment plastisch vor, Hollywood ist live dabei. In den Evangelien finde ich viel mehr Geheimnis, Zweifel, Nichtfassenkönnen. Die verschiedenen Texte sind sich in einem einig: Nach dem Tod Jesu muss etwas Unglaubliches mit ihm passiert sein. Da liegt auch für mich das Faszinierendste und Wichtigste in meinem Glauben.
Was halten Sie von Flügges weiteren Thesen?
Er fordert eine „Kirche der Vernunft“, nicht wie in unseren Tagen so oft eine Kirche der Moral. Allerdings verengt er die religiöse Aufklärungsarbeit auf die historisch-kritische Auslegung der Bibel, etwa bei der Schöpfungsgeschichte. Das wortwörtliche Verständnis wie im Kreationismus ist aber kein Problem mehr in den Landeskirchen. Eine moderne Bibel-Interpretation haben wir im Reli-Unterricht und in Gemeindekreisen. Zudem ist sie nicht mehr in den engen Alternativen von „wirklich passiert“ contra „nur erfunden“ aus den 70er/80er Jahren gefangen.
Ein Diskussionsteilnehmer hat das Thema noch auf eine andere Ebene gehobenen: Im Zeitalter von Fake-News, polarisierender Tendenzberichterstattung und Taktieren im Berufsalltag erwarte er, dass es in der Kirche ehrlich zugehen soll, intellektuell redlich, persönlich aufrichtig. Das trifft einen Punkt, der allen guttut und alle in die Pflicht nimmt.
Was macht eine „Kirche der Vernunft“ denn noch aus?
Flügge feiert die Freiheit von jeglichem religiösen Zwang. Da bin ich dabei. Ich lege selber Wert auf Freiheit und einen gesunden Eigensinn in meinem Glauben. Ich musste in meiner religiösen Biografie leider auch Autoritäres erleben. Deshalb kann ich mir ausgereifte christliche Freiheit am besten als Mitverantwortung, als Stimmrecht in der Gemeinde vorstellen. Der freie Christenmensch hat ein Mandat in der Kirche. Das ist in unseren komplizierten Strukturen nicht immer ganz einfach. Wenn mit dem allmählichen Abschmelzen von Personal und Gebäuden in der Landeskirche auch ein Rückbau von Strukturen einherginge, könnte das manches erleichtern und befreiend wirken.
Das hört sich so an, als gebe es derzeit etliches, das einengt.
Ich wäre froh, wenn ich in meinem Pfarrberuf etwas weniger Funktionär für Gremien und Verwaltungsarbeit sein müsste – und noch mehr Seelsorger und Prediger im Kontakt mit den Menschen und ihren Themen. Die Flügge-Rede ist für mich ein Anstoß, die bisherige Gewichtung mal wieder zu überprüfen.
Werden Sie die Debatte auch in Ihrer Gemeinde weiterführen?
Wir sind schon länger an dem Thema dran. In einem Stadtteil mit viel Fluktuation und wenigen verwurzelten Familien funktioniert Kirche nicht mehr als Lebensbegleitung von der Wiege bis zur Bahre. Wir sind eine Quereinsteiger-Gemeinde geworden.
Im Kirchenvorstand haben wir auch Mitglieder, die noch durch die Taufe ihrer Kinder dazugekommen sind. Das läuft inzwischen anders: über Themen, über Interesse, zum Beispiel die Musik. Und Flügge hat Recht: über persönlichen Kontakt, über Austausch etwa zu aktuellen Fragen. Daher haben wir vor einigen Wochen zu einem Gesprächsangebot über „glauben und leben im Zeitalter des Zorns“ eingeladen. Menschen aus drei Generationen haben über ihre Erfahrungen miteinander diskutiert und die Bibel abgeklopft, ob in ihr Hilfreiches zu finden ist. Solche zeitlich befristeten Themen- und Gesprächsprojekte werden wir wiederholen. Nach der Flügge-Diskussion wird im ersten Quartal 2019 das Thema Auferstehung dran sein müssen.
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