Eine Reaktion zum Leserbrief „Der Gott der Bibel ist böse und zerstörerisch“ von Prof. Hartmut Heuermann (BZ Dienstag, 29. Dezember 2016)
„Es ist nicht zu leugnen,
dass der Schriftglaube heutzutage viele Bekämpfer hat
und aus verschiedenen Gründen
nur wenige den Schriftinhalt wohl erwägen.“
(John Wycliff 1320 – 1384)
Es gehört zu den gut funktionierenden Reflexen in gegenwärtigen Debatten über Religion, dass man meint, mit ein paar Originalzitaten nachgewiesen zu haben, wie hetzerisch und gewaltaffin die Bibel doch sei. Nichts mit christlich, das Gegenteil meint man investigativ aufdecken zu können. Auch Professor Heuermann scheint zu denken, mit den diesbezüglich zweifellos vorhandenen Stellen die Menschenfeindlichkeit biblisch inspirierter Religionen bewiesen zu haben.
Biblizistische Anti-Biblizisten?
Er ist dabei allerdings den Biblizisten ordentlich auf den Leim gegangen. Diese nehmen fast alles wortwörtlich und daher aus jedem Vers ein unmittelbares Gotteswort mit konkreter Handlungsanweisung heraus. Dieser Kurzschluss verhindert, dass sie (und die Gegner, die sich auf sie eingeschossen haben) sehen, was für den unvoreingenommenen Leser offensichtlich ist: Die Bibel ist durch und durch von Geschichte und Geschichten geprägte, spannungsvolle Narration und überwiegend erzählende Literatur. Selbst die 10 Gebote und die großen biblischen Spruchsammlungen werden in ihr nicht als zeitlose moralische Gottesgesetze präsentiert, sondern als geschichtsgebundene Weisung für den Weg in eine unbekannte Zukunft.
Nimmt man das ernst, kann man die Bibel nicht mehr als pure Gesetzessammlung oder abgehobenes Dogmen-Lehrbuch lesen. Nicht jeder Satz verlangt unmittelbar praktische Umsetzung oder tumbes Fürwahrhalten. Literatur eben. Literatur mit schwarz-weiß-Malerei bewerten zu wollen ist möglich, aber nicht sachgerecht.
Steinbruch oder großer Erzählzusammenhang?
Im Twitter-Zeitalter hat seriöse Bibellektüre jedoch schlechte Karten. Wer denkt, schon mit wenig mehr als 200 Worten das Entscheidende erfasst zu haben, dem bleibt der religiöse Charakter der Bibel verschlossen.
Die teils über Jahrhunderte weiterentwickelten Texte wurden nach und nach zu komplexen Erzählgeweben absichtsvoll zusammengefügt und sind voller Menschheitsfragen. In ihnen ist eine Fülle von (teils widersprüchlichen) Lebens- und Zeiterfahrungen verarbeitet. Auch religiöse Gewalt kommt darin vor sowie Gewalt gegen Frauen, Kinder und Unschuldige. Aber erst, wer sich den Fortgang der Geschichten und die spätere Wiederaufnahme einzelner Themen im weiteren Erzählzusammenhang vor Augen hält, ahnt, dass diese Schriften auf subtile und gedankenproduktive Weise vom transzendenten Gott handeln und keine simplen Handlungsanweisen geben. Ja, der Gott der Bibel „ist nicht gut und nicht gerecht“ (Buchtitel von Andreas Benk). Diese Einsicht aus den biblischen Texten richtet sich allerdings nicht gegen einen humanen Glauben, sondern gegen eine simplifizierende (Anti-) Gottesbilder, auch wenn sie im Gewand moralischer Empörung vorgeführt werden. Der Schöpfer macht Geschichte mit Menschen, ohne sich von menschlicher Phantasie sowie Gewalt- und Eigensucht vereinnahmen lassen zu wollen. Die Bibel ist in diesen Fragen ein Zeugnis anspruchsvoller theologischer Reflexion. Das deutlichste Zeichen der Souveränität Gottes in seiner nicht kalkulierbaren Solidarität mit menschlichem Leiden ist das Kreuz Jesu Christi. Darüber an anderer Stelle mehr.
Weltanschauliche Gewaltenteilung
Man findet in der Bibel – teilweise mit für uns ungewohnten Erzählmitteln – Ansätze und zahlreiche Spuren einer „weltanschaulichen Gewaltenteilung“. Menschliche Pläne und Politik sollen nicht zu ihrer eigenen Rechtfertigung und Ãœberhöhung mit Gott selbst identifiziert werden. „Eure Gedanken sind nicht meine Gedanken.“ Diese theologische Selbstrelativierung von Religion ist ein sehr viel wirksamerer Beitrag zur Debatte um Religion und Gewalt als manche oberflächliche Religionskritik.
Bibellesen mit ethischer Haltung
Einfach ist ein verantwortliches und sachgerechtes Bibellesen freilich nicht. Selbstverständlich ist der Umgang mit ihr eine Gratwanderung, denn sie lässt viel Problematisches zu Wort kommen und präsentiert nicht jedes Mal gleich mit erhobenem Zeigefinger „die Moral von der Geschicht“. Im Beispiel der Geschichte von der Beinahe-Opferung Isaaks (1. Mose 22) wird genau diese Reaktion vom Leser geradezu erwartet, aber ihm nicht oberlehrerhaft abgenommen. Ohne den sensiblen und mitfühlenden Leser „funktionieren“ diese und andere meisterhafte Erzählung nicht. Sie werden in den falschen Köpfen schier unerträglich. Tatsächlich stellt die Bibel gewisse Anforderungen an ihre Leser. Wer sie aufschlägt, sollte eine ethische Haltung schon mitbringen und sich diesen Schriften besser nicht als „tabula rasa“ aussetzen. Eine solche Lese-Anleitung findet man im biblischen Psalm 1, der „Magna Charta des Bibellesens“. Kurzfassung: Von „frevlerischen“ Impulsen sollte man sich gedanklich und sozial fernhalten und konkret auf gemeinschaftsförderndes Verhalten bedacht sein, um das gedeihliche Potential dieser Heiligen Schriften entdecken zu können.
Werner Busch
Literaturhinweis:
Walter Dietrich & Christian Link, Die dunklen Seiten Gottes, Band 1 und 2 (Verlag Vandenhoeck & Ruprecht)