Andacht zur Kirchenvorstands-Sitzung
Am 27. August 2018 kamen die Mitglieder des Kirchenvorstandes und des Projektausschusses unserer Kirchengemeinde zu einer Sitzung zusammen. Zu den Beratungsgegenständen gehörten Haushaltsfragen, das Thema Hagenmarkt und eine längere Diskussion zu den Strukturfragen, die sich mit dem Stichwort „Gestaltungsraum“ verbinden. Am Beginn der Sitzung hielt Pfarrer Werner Busch folgende Andacht.
Wenn ich morgens aufwache – mit welchen Gedanken steige ich aus dem Bett und in den Tag? Das Erwachen am Morgen sind sensible Momente. Aufwachen ist ein bisschen wie geborenwerden. Aufwachen ist eine Art Machterfahrung. Es passiert etwas mit mir. Was prägt mich in diesen Momenten, in denen ich noch nicht ganz Herr über mich selbst bin? Bei manchen dauert das nur ein Gähnen lang. Einmal gereckt und zack geht’s los. Bei anderen hält das an, bis die ersten drei Tassen Kaffee drin sind. Wir alle kennen diesen Aggregatzustand. Was gibt mir die Themen, die Gedanken für diese ersten Momente? Anders gefragt: Wie beginne ich den Tag? Allgemeiner gefasst: Wie fange ich überhaupt etwas an? Eine Amtsperiode im Kirchenvorstand. Ein neues Lebensjahr. Einen Lebensabschnitt. Den Urlaub. Oder eine KV-Sitzung.
„Zuerst danke ich meinem Gott.“ Gleich nach den ersten paar Zeilen in einem seiner größten, bedeutendsten Briefe legt Paulus so los.
Womit fängt man normalerweise etwas an? Meist mit Kritik. Am Anfang vieler Veränderungen war die Unzufriedenheit. Irgendetwas klappt nicht, ich muss das anders machen. Am Anfang war der Frust. Und dann packt man’s an, beginnt etwas Besseres, Neues.
Aber der Dank? Man soll doch den Tag nicht vor dem Abend loben.
Das große Projekt seiner Mission im Westen beginnt Paulus trotzdem mit Dank. Vorher wird ihn noch einmal nach Jerusalem führen, ins alte, östliche Zentrum der Christenheit. Und dann: Let’s go west. Hinaus in die Welt. „Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit.“ Er plant bis nach Spanien. Think big. Dieses Mega-Vorhaben beginnt er so: „Zuerst danke ich meinem Gott für euch alle.“ Mich beeindruckt das, weil es so anders ist als das, was ich kenne und selber praktiziere.
Wie beginnen wir etwas in der Kirche? Ich erinnere mich an 2006. Der Rat der EKD brachte das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ heraus. Unter Theologen ist das inzwischen ein alter Hut, und die Kritik daran ist etwas abenutzt. Aber immerhin war es der Anstoß für EKD-weite Reformen. Manches in den Landeskirchen sieht heute anders aus als vor 2006. Ãœber eines der Folgethemen davon werden wir heute Abend beraten. Stichwort „Gestaltungsraum“. Was stand am Anfang? Am Anfang standen Krisen-Prognosen. Man rechnete die Trends bis 2030 weiter – ein beliebtes Datum für Zukunftsforscher – und erschreckte. Es wird furchtbar. Wenn wir nichts ändern, steuern wir in die Katastrophe. Wir werden viel weniger Mitglieder sein und viel weniger Geld haben. Der Abwärtstrend beim Geld stimmt bis heute so nicht. Das Gegenteil sehen wir bei unseren Haushaltsabschlüssen. Bei den Mitgliedern sieht es leider anders aus. Nicht ermutigend. Obwohl manche ersthaft sagen, es sei ein Wunder, dass nicht noch mehr austreten. Erst die jüngste Statistik hat wieder nachdenklich gemacht. Wir schrumpfen. Hatte der Rat der EKD 2006 also doch recht? Halten wir fest: Eines der größten kirchlichen Reformprojekte in der Evangelischen Kirche der Nachkriegszeit hat so begonnen: Am Anfang stand die Angst. Am Anfang stand der Gedanke, unterzugehen. Am Anfang steht der Druck.
Dazu heute das Kontrastprogramm aus dem Neuen Testament. DAS erste Großprojekt der Urchristenheit begann anders. „Zuerst danke ich in meinem Gott für euch alle. Ich will zu euch kommen und euch und mich an unserem gemeinsamen Glauben stärken.“ Römerbrief, Kapitel 1. Dabei war die Situation für Paulus damals überhaupt nicht rosig. „Ich will euch nicht verschweigen, dass ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen. Ich bin aber bis heute daran gehindert worden.“ schreibt er. Dringliches schiebt sich vor das Wesentliche. Wer kennt das nicht? Manchmal auch in unseren Sitzungen. Das nervt. In seinen Briefen finden wir immer wieder sehr menschliche Passagen von Paulus. Da ist wenig Verlautbarungspathos, kaum Timbre in der Stimme. Nur selten „Ich bin fest davon überzeugt“. Sondern echt und ehrlich schreibt er. „Ich will das nicht verschweigen.“ Ich hab’s einfach nicht geschafft. Anderes hat mich in Atem gehalten.
Also nichts von stringenter Projekt- und Prozessplanung in Hochglanz-Dossiers, wie wir das kennen. Endlich mal professionell sein, denkt manch einer, der die Mühen und Kompromisse der Gremienkirche schwierig findet. Am Anfang steht manchmal der Ehrgeiz. Am Anfang steht oft die Sorge. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Auch in der Kirche. Auch im Glauben an Gott. Es ist wie im richtigen Leben.
Gut, wenn man wie Paulus dabei die Menschen fest im Blick behält. Das verändert die Tonlage gründlich.
Der Apostel schwingt sich zum Dank auf. „Zuerst.“ Seit ich mich näher mit Römer 1 beschäftigt habe, singen wir häufiger den Choral „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank.“ Ich merke: sich selber umstimmen ist nicht so einfach. Die Art des Aufwachens verändern, geht nicht einfach per Beschluss. Bibel und Choräle bringen da Gott ins Spiel. „ER weckt mich alle morgen.“ Gott kümmert sich um die, die gerade aufwachen. Gott ist bei denen, die noch nicht ganz Herren ihrer selbst sind.
Welche Emotionen kultivieren wir, wenn wir etwas beginnen? Erproben wir es: Zuerst den Dank. Wenn die Dinge noch unklar, noch im Fluss sind. Schon beim Wachwerden, wenn alles noch dämmert. „Zuerst danke ich meinem Gott für euch alle und möchte mit euch den Glauben teilen.“ Von Anfang an auf das achten, was wesentlich ist.Noch bevor wichtige Entscheidungen gefällt werden – Dank.
Fangen wir positiv an. Mit Wertschätzung. Mit Zutrauen zu Gott und mit Freude am Miteinander in unserer Gemeinde. Den Menschen sehen, das ist guter apostolischer Stil. Und weniger als apostolisch sollte eine Gemeindeleitung auch heute nicht sein wollen. „Zuerst danke ich meinem Gott für euch alle.“
Amen.
Mein erst Gefühl sei Preis und Dank;
erheb ihn, meine Seele!
Der Herr hört deinen Lobgesang;
lobsing ihm, meine Seele!
Gib mir ein Herz voll Zuversicht,
erfüllt mit Lieb und Ruhe,
ein weises Herz, das seine Pflicht
erkenn und willig tue.
Christian Fürchtegott Gellert