Wie riecht eine neue Bibel?

Oder:
Vom geistlichen Nutzen,
sich gelegentlich eine neue Bibel zuzulegen.

+ + +

bibel-4Ich kenne sie gut. Ãœber mehrere Jahrzehnte habe ich „Luther 84“ gelesen. Die Bibel aufzuschlagen ist ein bisschen wie der Besuch bei einem guten Bekannten. Selbst wenn ich mal die genauen Versangaben nicht habe, das vertraute Druckbild erleichtert mir das Stöbern und ich werde schnell fündig. Anfang des Markusevangeliums, ein paar Psalmen … Wo ich mich mal richtig reingelesen habe, das bleibt bildlich haften und ist wie ein fester Orientierungspunkt beim nächsten Vorbeikommen.

Ich habe sie mir gekauft. Die neue Revision der Lutherbibel ist noch pünktlich vor dem Einläuten des Jubiläumsjahres 2017 erschienen. Man konnte sie ein paar Tage vor dem 31.10.2016 erwerben. Ziemlich genau zwei Monate stand sie jetzt verpackt in meinem Regal. Erste Vergleiche des Wortlautes konnte ich ja bequem im Internet anstellen. Aber jetzt zum Beginn des neuen Jahres 2017 liegt das neue Stück endlich aufgeschlagen vor mir. Ich mag neue Bücher. Sie locken mich sofort zum Lesen. Beim ersten Kennenlernen gleich ein paar Seiten. Doch hier ist es anders.

Ich bin etwas genervt. Denn in diesem mir an sich gut vertrauten Buch finde ich mich nicht mehr so orientierungssicher zurecht. Der gute alte Bekannte hat neu tapeziert. Das Papier wirkt durchsichtiger, die Druckerschwärze der Rückseite schimmert durch. Die Möbel sind eigentlich noch dieselben, aber sie sind etwas verschoben. Markus 1,1 steht jetzt nicht mehr recht unten sondern überraschenderweise links oben. Leicht verändertes Druckbild, anderes Outfit der Ãœberschriften und manche Klenigkeit mehr.  Nichts Gravierendes. Aber doch genug, dass mir die Bibel unversehens fremd vorkommt.

Ich bin neugierig. Die neue Bibel weckt die Sinne. Sie riecht noch druckfrisch. Weißes sauberes Papier. Glatter Schnitt ohne geringste Griffspuren. Keine Flecken, keine Knicke. Beim Aufschlagen das typische Geräusch eines dicken Buches mit seinen noch fest zusammenliegenden Seiten. Ein leises Knistern im Buchrücken, der ungebrochen ist und sich dagegen sträubt, zu stark gebogen zu werden.

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Ich bin es nicht gewohnt, die Bibel besonders zu pflegen. Als Kind habe ich einmal eine alte zerlesene Bibel aus dem Altpapierkontainer geholt und sie einige Jahre behalten. Sowas wirft man doch nicht weg, dachte ich. Aber über eine grundsätzliche Wertschätzung von Büchern hinaus sind mir Ãœberlegungen, dass bestimmte Gegenstände besonders heilig seien, fremd geblieben. Genauso wie entsprechende rituelle Respekterweisungen für die Heilige Schrift. Besonderer  Aufbewahrungsort. Erst mal Schreibtisch leer räumen. Vielleicht sogar Hände waschen? Behutsames Herausnehmen. Verneigung. Kuss. Nichts davon. Typisch evangelisch? Vielleicht. Trotzdem: Ihr Inhalt ist für mich unvergleichliche Richtschnur und Medium zum Hören auf Gott. Ich habe eine theologische Ãœberzeugung die Bibel betreffend. Und doch behandle ich sie als „Gebrauchsbuch“. Folglich liegt sie auf meinem Schreibtisch irgendwo zwischen anderen Büchern und Papieren, neben Stiften, Computer und schnurlosem Telefon. Manchmal steht eine Tasse Kaffee dabei. Arbeitsplatz eben.

Das neue Buch ist ein Anlass, das noch einmal zu überdenken. Wenn beim sinnlichen Lese-Akt der Bibellektüre sich Gottes Wort einstellen soll, dann sollte ich alle meine Sinne schärfen. Kleine, individuelle Rituale können helfen, „wach“ zu werden und „auf Empfang“ zu gehen für das, was dieses Buch sein kann. Ich lasse mich von Dietrich Bonhoeffer beraten. Er empfiehlt in seinem Leitfaden „Gemeinsames Leben“, man solle vor und nach der Bibellektüre ein hörbereites Schweigen praktizieren.

Das Wort kommt nicht zu den Lärmenden,
sondern zu den Schweigenden.
Es liegt im Stillesein eine wunderbare Macht
der Klärung, der Reinigung,
der Sammlung auf das Wsentliche.

Ohne künstliche Übertreibung: Beim Aufschlagen der Bibel ein Moment innehalten, eine bewusste Unterbrechung. Auch danach noch ein kurzer Moment, in dem das Gelesene nacklingen kann. Man muss nicht Mönch oder Nonne werden, um Zugang zu einer der wichtigsten geistlichen Erfahrungen der monastischen Lebensform zu finden: Das wachsame Lesen, Hören und Meditieren der Bibel. Aus der Mönchsregel:

Stehen wir also endlich einmal auf!
Die Schrift rüttelt uns wach und ruft:
‚Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen.‘
Öffnen wir unsere Augen dem göttlichen Licht
und hören wir mit aufgeschrecktem Ohr,
wozu uns die Stimme Gottes täglich
mahnt und aufruft:
‚Heute, wenn ihr seine Stimme hört,
verhärtet eure Herzen nicht!‘

(Regula Benedicti, Prolog)

Gegen jede schwüle Überhöhung und mystische Überfrachtung des Bibellesens spricht sich noch einmal Bonhoeffer aus.

Das Schweigen kann auch
eine furchtbare Wüste sein
mit all ihren Einöden und Schrecken.
Es kann auch ein Paradies des Selbstbetrugs sein,
und eins ist nicht besser als das andere.
Darum, wie dem auch sei:
Keiner erwarte vom Schweigen
etwas anderes als die schlichte Begegnung
mit dem Wort Gottes,
um deswillen er ins Schweigen gekommen ist.

Eine neue Bibel.
Mich regt sie an, neu zu lesen.
Unbekanntes im scheinbar Vertrauten zu entdecken.
Ich reibe mir die Müdigkeit aus meinen Augen.
Hab ich das schon mal gelesen?
Nein, so noch nicht.
Steht das wirklich so da?
Ungewohnt ist dieses Buch.
Ich will künftig bewusster mit ihm umgehen.

Wieder einmal bin ich zu Besuch bei meinem guten Bekannten.
Er hat renoviert.
Ich sehe mich um.
Ach schau, das hab ich noch nie bemerkt …
Schön hast Du’s hier.

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„Die Bibel ist unter uns lebendig.
Sie wird gelesen.
Eltern und Lehrer geben sie ihren Kindern weiter.
Junge Menschen entdecken sie heute ganz neu.
Prediger legen sie aus, und die Gemeinde hört auf sie.
Bei Kirchentagen und Gemeindetagen sammeln sich Tausende um die augeschlagene Bibel.
Denn aus ihr redet der lebendige Gott.“

(Erklärung der 6. Synode der EKD, November 1981.)

 

 

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Informationen über verschiedene Bibel-Ausgaben:
https://www.die-bibel.de/

Für junge Leute besonders empfehlenswert: Die Basis-Bibel

Ein praktisches Online-Angebot mit verschiedenen deutschen und andersprachlichen Ãœbersetzungen: BibelServer