Konzert wird verschoben.

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach der von der Stadt Braunschweig seit gestern verpflichtend vorgeschriebenen Risikoeinschätzung sehen wir keine andere Möglichkeit, als das angekündigte Konzert mit der Johannes-Passion von J.S. Bach auf einen noch unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben. Wir bedauern, diese Entscheidung treffen zu müssen, sehen aber zugleich unsere Verantwortung darin, Situationen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko vermeiden zu helfen. Wir tragen damit dazu bei, die Verbereitung des Corona-Virus zu verlangsam und helfen mit, die Notlagen zu vermeiden, die eine beschleunigte Ausbreitung für unser Gesundheitssystem bedeuten könnten.

Sollten Sie bereits ein Ticket erworben haben, bewahren Sie es bitte auf und wenden sich an das Gemeindebüro unserer Gemeinde. Einzelheiten über Rückerstattung des Ticketpreises bzw. über einen geplanten neuen Aufführungstermin klären wir in Kürze und geben Ihnen das Prozedere auf Nachfrage dann bekannt. Wir bitten hierfür um etwas Geduld.

Zu Ihrer Information weisen wir auf folgende Internet-Seiten hin:

Stadt Braunschweig

Land Niedersachsen

Robert Koch-Institut

NDR-Information

Nach derzeitigem Informationsstand können unsere Gottesdienste jeden Sonntag um 10.30 Uhr weiter stattfinden.

Wir bitten um Ihr Verständnis und wünschen Ihnen behütete und gesegnete Tage!

Jahreswechsel: Rückblick und Ausblick

Bild: Dr. Jan Linxweiler

Liebe Gemeindeglieder, liebe Freundinnen
und Freunde von St. Katharinen!

Ein themenreiches Jahr liegt hinter uns.

Mit der Ausstellung „Talar und Lippenstift“ und einem Begleitprogramm haben wir von Januar bis April an die Ordination der ersten Pastorinnen unserer Landeskirche erinnert, die vor 50 Jahren in St. Katharinen stattfand. Nach Ostern beherbergten wir dann den Bilderzyklus „Licht und Dunkelheiten“ des Künstlers Wolfgang Spittler. Als besonderer Höhepunkt folgte eine Wander-Ausstellung über den Theologen Karl Barth anlässlich eines Gedenkjahres.

Wir ergänzten sie mit einem Vortrags-Symposium, das überraschend großes Interesse fand (wir berichteten im Hagenbrief). Magazin und Katalog wurden nachbestellt und liegen am Schriftentisch zum Mitnehmen aus. In dem Lebensweg und Werk von Karl Barth bündelten sich die großen Ereignisse und Themen der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Auseinandersetzung mit seinen Texten, vor allem den Gelegenheitsschriften aus der Vor- und Nachkriegszeit lohnt bis heute. Seine Gedanken zum Verhältnis von Glaube und Gesellschaft / Kirche und Politik verdienen Beachtung. Dass auch wir uns in diesem Jahr konkret gefordert sehen sollten, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen (siehe unten), war bei der Planung der Barth-Ausstellung noch nicht absehbar.

Wanderausstellung „Karl Barth“ in St. Katharinen

Neben diesen „Gast-Themen“, die wir Ihnen in Zusammenarbeit mit anderen Kooperationspartnern präsentieren konnten, widmeten wir uns auch eigenen, „internen“ Fragestellungen. Am 1.7. wurde der Pfarrverband Braunschweig-Mitte gegründet, wie es in der vorausgegangenen Gemeindeversammlung (17.2.) schon erläutert und diskutiert wurde. Ihm gehören auch St. Andreas, St. Blasius (Domgemeinde), St. Magni, St. Petri und St. Ulrici/Brüdern an. Personelle Änderungen in der Nachbarschaft und eine sinnvolle konzeptionelle Weiterentwicklung unserer Gemeinde werden uns in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen; der Kirchenvorstand wird zu einer weiteren Gemeindeversammlung einladen, um interessierte Gemeindeglieder zu informieren und mit ihnen über die anstehenden Veränderungen zu beraten. Zu den wichtigen Fragen gehört dann auch die Weiterentwicklung der kirchenmusikalischen Aktivitäten unserer Gemeinde nach dem Dienstende von LKMD Claus-Eduard Hecker (31.12.2020). Wir werden das kommende Jahr mit Herrn Hecker wieder genießen und freuen uns auf die bereits geplanten Kantatengottesdienste und Konzerte; gleichzeitig bereiten wir den Übergang in die Zukunft vor. Dazu haben der Kirchenvorstand und der Freundeskreis zur Förderung der Kirchenmusik inzwischen Gespräche mit dem Landeskirchenamt und der Propstei aufgenommen. Für die Fortsetzung der gut gewachsenen und lebendigen kirchenmusikalischen Arbeit hier am Ort brauchen wir auch künftig hohe Professionalität und ausreichende personelle Ressourcen. Übrigens: Wir planen für Mitte 2020 wieder einen neuen, offenen Anfänger-Kurs für Blasinstrumente (Trompete, Posaune).

Zu zwei Ereignissen hat der Kirchenvorstand in den zurückliegenden Monaten seine Haltung formuliert. Zunächst ist im Zusammenhang mit der Braunschweiger Aktion „Kirche trifft Seebrücke“ (Sept./Okt.) eine Stellungnahme entstanden, mit der wir anmahnen, bezüglich der schrecklichen Situation auf dem zentralen Mittelmeer das Maß menschlicher Vernunft und Machbarkeit noch weiter auszuschöpfen; wir sind dankbar, dass wir den Leiter der Europäischen Stabilitätsinitiative, Gerald Knaus (ESI, Berlin), für einen Vortrag gewinnen konnten, in dem wir das beispielhaft von ihm vorgeführt bekamen. Eine Video-Aufnahme finden Sie auf dem You-Tube-Kanal unserer Gemeinde.

Ansicht Synagoge in Halle

Zu dem Anschlag auf die Synagoge in Halle vom 9.10. haben wir uns in einem aktuellen Wort geäußert. Die Beheimatung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in unserer Gemeinde war einer der Gründe, warum wir nicht in stummer Betroffenheit verharren wollten. Der Text liegt aus. Über das kontinuierliche gemeinsame Veranstaltungsprogramm hinaus bieten wir im kommenden Jahr mit unserer Partnerin eine Studienreise nach Israel an. Es sind noch Plätze frei; bitte wenden Sie sich bei Interesse an das Gemeindebüro.

Eine weitere Themen-Linie haben wir gerade erst begonnen. Die frisch gereinigten und gesicherten Kirchenfenster im Altarraum lenken unsere Aufmerksamkeit auf Motive aus 1. Mose, dem Buch der Anfänge. Unter der Überschrift „Die Welt, in der wir leben … wollen?“ loten wir seit wenigen Wochen die Aussagekraft dieser großen Texte aus. Eine kleine Gesprächsreihe („glauben denken leben im gespräch“) sowie interessante Vortragsabende mit der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft (Künstliche Intelligenz in der Medizin) und dem Planetarium Wolfsburg (Evolution und Zukunft des Universums) haben bereits den Auftakt gemacht. Im Neuen Jahr werden wir zunächst in einer Predigtreihe mit Hilfe der Bildmotive unserer Kirchenfenster tiefer in die großen Texte der urgeschichtlichen Erzählungen einsteigen. Gerade angesichts gegenwärtiger, globaler apokalyptischer Sorgen sind diese Texte auf besondere Weise aktuell.

Abschließend sei einmal mehr daran erinnert, dass mit Mittwochnachmittag an St. Katharinen sich hier bereits über mehr als zwei Jahrzehnte ein wöchentliches Bildungsangebot mit allgemeinverständlichen Vorträgen etabliert hat. Die vielfältigen Themen locken interessierte Bürgerinnen und Bürger aus Braunschweig in eine gesellige Atmosphäre mit Live-Musik am Flügel, Kaffee und Kuchen. Beginn 15 Uhr im barrierefreien Gemeindehaus. Wir freuen uns, dass Prof. Dr. Klaus Wengst, einst am Lehrstuhl für Neues Testament der Ev. Fakultät der Ruhr-Universität in Bochum tätig und inzwischen mit seiner Frau nach Braunschweig umgezogen und bei uns „eingemeindet“, bereichert unser Programm mit profunden Einführungen in die neutestamentlichen Schriften.

Wie angekündigt, hat unsere Kirche eine neue Heizungsanlage bekommen mitsamt einer automatischen Lüftungsanlage. Wir sammeln erste Erfahrungen und werden bei Gelegenheit näheres berichten.

Wir freuen uns auf das Neue Jahr 2020 und laden Sie ein, unser Gemeindeleben durch Ihr Interesse, Ihre Anwesenheit und gerne auch durch Ihre Mitwirkung zu bereichern. Wir informieren Sie gerne durch Homepage und Newsletter.

Herzliche Grüße, im Namen des Kirchenvorstandes: Ihr Werner Busch

Der King Code

Mittwochnachmittag eröffnet das Neue Jahr 2020.

Zum 91. Geburtstag von Martin Luther King am Mittwoch, 15.1.2020, beginnt das kirchliche Bildungsangebot „Mittwochnachmittag an St. Katharinen“ das neue Jahr mit einem Filmnachmittag über den Bürgerrechtler und Baptistenprediger (* 15. Januar 1929, † 4. April 1968). Die verantwortlichen Kirchengemeinden St. Katharinen und St. Magni laden in das barrierefreie Gemeindehaus an der Katharinenkirche ein. Die Veranstaltung mit Musik (Iouri Kriatchko am Flügel) sowie Kaffee und Kuchen beginnt um 15 Uhr. Der Eintritt ist frei.

MITTWOCHNACHMITTAG AN ST. KATHARINEN

Nicht aufhören zu denken.
Kultur genießen.
Den Glauben lebendig halten.
Miteinander reden und singen.
Unterwegs sein.

Mit „Mittwochmittag“ bieten die Kirchengemeinden St. Katharinen und St. Magni in einem abwechslungsreichen Programm ein kirchliches Bildungsangebot an. Die wöchentliche Veranstaltung findet
von 15 bis 17 Uhr im barrierefreien Gemeindehaus von St. Katharinen am Hagenmarkt statt. Es ist offen für Interessierte aus der ganzen Stadt und verbindet Themen, Gespräch und Musik.

Veranstalter:
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Katharinen
Ev.-luth. Kirchengemeinde St. Magni

Förderung durch:
Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen (EEB)

Weihnachten 2019

Zu folgenden Festgottesdiensten laden wir Sie herzlich ein!

24. Dezember 2019
16.30 Uhr: Christvesper mit Kantorei
18.00 Uhr: Christvesper mit Posaunenchor
23.00 Uhr: Musikalische Christnacht mit Kammermusik

25. Dezember 2019
10.30 Uhr: Festgottesdienst mit Kantate III des Weihnachtsoratoriums von J.S.Bach

26. Dezember 2019
10.30 Uhr: Festgottesdienst mit Pfarrer i.R. Joachim Vahrmeyer

Motiv der Geburt Jesu, Anbetung der Hirten: Epitaph für Jürgen von der Schulenburg mit Ehefrau Lucia (St. Katharinen):

Warum Seenotrettung nicht genügt. Gerald Knaus in St. Katharinen

Am 25. November 2019 hielt Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitäts-Initiative einen Vortrag in unserem Gemeindesaal mit anschließender, angeregter Diskussion. Hier die Video-Aufnahme seines Vortrags und die thematische Eröffnung des Abends von Werner Busch.

Begrüßung und Eröffnung
Werner Busch

Mit einem Gesichtsausdruck kurz vor der Entgleisung und einer ruckartigen, kraftvollen Geste schnitt die Predigerin jede Diskussion über dieses Thema ab. Als schlüge sie sich den Weg durch einen dichten Dschungel, sausten ihre diagonal verschränkten Arme durch die Luft nach unten. Bis zu diesem Tag konnte ich mir nicht vorstellen, dass im 21. Jahrhundert ein so apodiktischer Ausdruck in einer Festival-Predigt auch nur denkbar wäre. Bis ins Gestisch-Mimische hinein sollte etwas Endgültiges mit einer durchaus autoritären Konnotation klargestellt werden.

Da steht eine Predigerin im schwarzen Talar mit weißem Beffchen – das quasi archetypische Bild der protestantischen Predigtperson. Sie steht allein auf der großen grünen Rasenfläche eines Stadions im Sonnenlicht eines Sonntagmorgens. Wie in einer Arena stand sie da, ausgesetzt, ohne schützende Kanzel, ohne Podium oder Bühne. Die Menschen schauten von den Rängen zu ihr hinunter. Sie sprach im lockeren Plauderton von „Bier“ und „Currywurst“ und „Gurkentruppe“. Setzte nachdenkliche Worte, ermutigte. Das muss man erst einmal hinkriegen in so einem Setting …

Mitten hinein in diese angenehme spirituelle Unterredung platzte auf einmal dieser überraschend scharfe, harte Ton. Gestus und Wortwahl waren klug aufeinander abgestimmt und durchkomponiert. „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“[1] Durch die beiden Ausrufezeichen wurde die Kompromisslosigkeit ihrer Aussage-Absicht auch im Schriftbild niedergelegt. Die Theologin sah sich zu einem abschließenden Machtwort ermächtigt und warf sich mit Leib und Seele in diesen Satz hinein: „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ Der besondere Nachdruck, den sie dieser Aussage gab, war anrührend, für viele mitreißend, für manche übergriffig zugleich.

Dem Wortlaut nach – ohne Satzzeichen gelesen – ist diese Aussage zunächst eine Selbstverständlichkeit. Natürlich lässt man keine Menschen ertrinken und sieht zu, wie jemand hilflos im Wasser um sein Überleben kämpft.

Aber: Trotz seiner moralischen Selbstverständlichkeit liegt eine starke Spannung in diesem Satz. Diese Spannung hatte sich aus einer komplizierten und angeheizten Debattenlage in unserem Land, ja in Europa ergeben. Ungefähr ein Jahr zuvor – im Sommer 2018 – hatte die Überschrift eines ZEIT-Artikels über Seenotrettung auf dem Mittelmeer im wahrsten Sinn des Wortes Furore gemacht. Die Überschrift über der einen Seite einer Pro- und Contra-Kolumne hatte infrage gestellt, was doch für alle selbstverständlich ist und sein muss. Sie lautete „Oder soll man es lassen?“[2] Wie bitte? Menschenrettung unterlassen? Dass diese redaktionelle Headline nicht so recht zu der darunter stehenden Meinung von Mariam Lau passte, die vielmehr eine Problemanzeige war und kein Plädoyer für Rettungsverzicht, das fiel in der lauten Diskussion kaum noch auf.

Aus dem die AfD umgebenden und in ihr teilweise repräsentierten politischen Lager kannte man ähnliche Sätze. Von da kommend konnte man solche Aussagen empört an sich abperlen lassen. Aber dieses Mal war es anders. Ausgerechnet in der Wochenzeitung DIE ZEIT, und dann in der Form einer fragend zögerlichen Überschrift meldete sich mitten im politischen „Mainstream“ ein Zweifel zu Wort. Ein Zweifel, gegen den dann viele sich erbost gewehrt haben. „Retter vergrößern das Problem“[3]? Das war und ist für viele ein unerträglicher Gedanke, weil er die Moral verkompliziert, und zwar in einer Angelegenheit, in der es um Leben und Tod geht. Moral besteht schließlich darin, die Dinge auf den Punkt zu bringen und gültige Urteile zu fällen. Doch dieser Artikel mutete den Rettern und ihren Unterstützern einen schwierigen Gedanken zu. Es könnte sein, dass richtig gut gemeint und engagiert getan trotzdem schlecht gemacht ist. Für viele ist das ein unerträglicher, nicht statthafter Zweifel, weil er das Gute zermürbt.

Nun, im Schlussgottesdienst des Kirchentages 2019 in Dortmund, war endlich die Stunde für einen ebenbürtigen Widerspruch gekommen! Pastorin Sandra Bils stand allein auf dem Fußballfeld des Signal-Iduna-Stadions und sprach endlich das von vielen erhoffte Schlusswort. „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ Sie tat das so kraftvoll und bei so prominenter Gelegenheit, wie es kraftvoller und prominenter kaum möglich gewesen wäre.[4] Der prophetische Kirchentags-Gestus, den viele kennen und schätzen, hat seine Wirkung dann auch nicht verfehlt. Diese kurze Predigtpassage, so darf man ohne Übertreibung sagen, hat auch Monate danach noch begeisterte Zustimmung hervorgerufen und wird vielleicht als „Ruf von Dortmund“ in die Kirchenhistorie eingehen. Als am 12.9.2019 der Ratsvorsitzende der EKD Bischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm vor der Bundespressekonferenz die Entscheidung des Rates öffentlich gemacht hat: „Wir wollen ein Schiff schicken.“[5], kommentierte Arnd Henze diese Bekanntgabe auf seinem Facebook-Profil. Der kirchenverbundene ARD-Hauptstadtkorrespondent verwendete dabei das Dortmunder Predigtzitat in sprachlich leicht, aber inhaltlich doch bemerkenswerter[6] Abwandlung. „Wir lassen niemanden ertrinken – Punkt!“ Die Entscheidung des Rates wurde also direkt als Antwort auf jene Predigtpassage gedeutet.[7] Natürlich muss auch in Anschlag gebracht werden, dass es eine Kirchentagsresolution gab, die ein eigenes kirchliches Rettungsschiff ausdrücklich gefordert hat.[8] Aber als brauchbares Zitat hat nur der Predigtsatz überlebt.[9] Mit seinem expliziten „Punkt“ und dem dahinter gesetzten Ausrufezeichen.

Das schwierige an diesem starken Zitat ist nicht die Aussage selbst. Die gilt. Die hat auch unser Kirchenvorstand voll bejaht und in seinem Positionspapier noch einmal ausdrücklich gegen jedes Wenn und Aber verteidigt. „Die Rettung von Menschenleben aus Seenot auf dem Mittelmeer halten wir aus allgemeinen humanitären Gründen für unverzichtbar. Die Rettungspflicht gilt unabhängig davon, ob die in Seenot geratenen Menschen sich an Schlepperorganisationen gewandt und Lebensgefahr in Kauf genommen haben, um von zivilen Helfern gerettet zu werden.“

Das Schwierige am Dortmunder Ruf ist das ausgeschriebene Wort „Punkt“ dahinter. Keine Diskussion mehr. Ende der Debatte. Ausrufezeichen!

Wir meinen, das Gespräch müsste weitergehen bzw. dann eigentlich erst richtig beginnen. Die Debatte leidet daran, dass sie zu früh für beendet erklärt wird. Man braucht einen moralischen Kompass. Ja. Aber dann auch politische Lösungen, die ein humanes und realistisches Verfahren etablieren. Um die Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen zu bewahren, braucht es solche konkreten Lösungen. Über die muss nachgedacht und diskutiert werden, auch öffentlich.

Wir vom Kirchenvorstand unserer Gemeinde meinen, dass Herr Gerald Knaus dafür ein guter Gesprächspartner ist. Ich heiße Sie herzlich hier bei uns willkommen, lieber Herr Knaus! Vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben, um hier heute bei uns in St. Katharinen zu sprechen.

Meine Damen und Herren, in den 90er Jahren hat Herr Knaus durch persönliche Beobachtungen der Konflikte im Ex-Jugoslawien sein Lebensthema gefunden: Wie kann es sein, dass trotz europäischer Standards ein solcher Konflikt so schrecklich eskaliert? Und was müsste man tun, um solche Konflikte zu mildern, zu lösen? Herr Knaus gründete einen Think-Tank, die ESI (Europäische Stabilitäts-Initiative), die vor wenigen Wochen – Ende Oktober – ihr 20-jähriges Bestehen feiern konnte. Herr Knaus erarbeitet mit seinem Team durch kontinuierliche Beobachtungen vor Ort Berichte über verschiedene Krisenherde (Südosteuropa, Nordafrika und Naher Osten) und konkrete Problemstellungen. Dadurch entstehen Analysen, die nicht nur auf punktueller Reporter-Recherche beruhen – was auch seinen Wert hat – sondern auf anhaltender und immer neuer Untersuchung vor Ort. Aus diesen Feldforschungen und den vielfältigen Quervernetzungen sammelt ESI ihre Erkenntnisse und entwickelt auch konkrete Vorschläge und Handlungsempfehlungen. Manches davon wird Herr Knaus uns heute Abend vorstellen.

Uns – dem Kirchenvorstand – liegt daran, aus dem Punkt und den Ausrufungszeichen von Dortmund einen Doppelpunkt oder ein Komma zu machen. Wir denken, es gibt neben der notwendigen Suche nach praktischen politischen Lösungen auch ein starkes theologisches Argument dafür, die Debatte über Seenotrettung nicht moralisch abzuschließen, sondern verantwortungsbewusst zu eröffnen. Schon in seinem berühmten Gleichnis vom Barmherzigen Samariter belässt es Jesus nicht bei der Rettungstat aus unmittelbarer Not. Er erzählt die Geschichte weiter. Ist das nicht ein bedeutsames Detail dieser fingierten, ausdrucksstarken Geschichte? Damit wird deutlich gemacht, dass eine begonnene Hilfeleistung auch zu Ende gedacht werden sollte. Was kommt nach dem ersten Eingreifen? Der Samariter bringt den Geretteten in eine Herberge und übernimmt die Kosten, bis er gesund gepflegt sein wird. Er soll wieder auf eigenen Beinen stehen können. Hilfe muss zielführend sein. Wir werden diese Art des Nachdenkens heute erproben. Dafür stellt Herr Knaus jetzt seine Beobachtungen, Argumente und Vorschläge zur Diskussion. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Werner Busch, 25.11.2019

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FUSSNOTEN:

[1] https://www.kirchentag.de/aktuell_2019/sonntag/predigt/https://www.youtube.com/watch?v=GbAOuZhQ0Fg

[2] https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittelmeer-pro-contra/komplettansicht

[3] Ebd.

[4] https://www1.wdr.de/dossiers/religion/christentum/kirchentag-dortmund/abschlussgottesdienst-kirchentag-dortmund-104.html .

[5] https://www.facebook.com/ekd.de/videos/2414558055292812/

[6] Das Originalzitat von Sandra Bils konnte mit seinem diffusen „Man“ als mahnender Ruf in Richtung Politik und Allgemeinheit verstanden werden. Arnd Henze hingegen präzisiert jetzt ein kirchliches „Wir“ und macht – dem Vorgang durchaus entsprechend – die Kirche selbst zum verantwortlichen Rettungsakteur. „Keine Menschen“ markiert einen allgemeinen moralischen Grundsatz, der in der allgemeinsten Eigenschaft, nämlich dem Menschsein (Würde) der Opfer begründet liegt. Henzes „niemanden“ hingegen ist rigoroser, idealistischer, tendiert zu „keinen einzigen“ und überdehnt das Dortmunder Predigtzitat in einen unrealistischen Idealismus.

[7] „Die EKD will also Ernst machen mit der klaren Aufforderung, die Pfarrerin Sandra Bils in ihrer Kirchentags-Abschlusspredigt in Dortmund auf die seitdem vielzitierte Formel brachte.“ Reinhard Mawick, Helfen, aber richtig. Die Evangelische Kirche als Akteurin in der Seenotrettung, in zeitzeichen (ohne Datumsangabe): https://zeitzeichen.net/node/7690?fbclid=IwAR06dQIZq8rKLRbIgF6ihL4INk6QfcswGQvbtieyuQJTiXvbkSehIStB_ko.

[8] https://dxz7zkp528hul.cloudfront.net/production/htdocs/fileadmin/dateien/Resolutionen/V.LOG-002_Schicken_wir_ein_Schiff.pdf .

[9] Wenige Tage nach dem Vortragsereignis mit G. Knaus tauchte das Zitat „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ erneu prominent auf. Als im November 2019 die Vereinsgründung von „Gemeinsam retten“ („United srecue“) mit Sitz im Kirchenamt der EKD bekannt gemacht wurde, fand das Zitat von Sandra Bils sowohl auf der Vereins-Homepage ( https://www.united4rescue.com/) als auch im Bericht auf der EKD-Homepage über die Eröffnung der dazugehörenden Spendenaktion Verwendung (https://www.ekd.de/buendnis-united4rescue-gruendung-52184.htm).

Links:
Zu Gerald Knaus siehe: https://www.dw.com/de/gerald-knaus-es-gibt-kein-recht-auf-migration/a-46649325
und zum Gambia-Plan sowie der Arbeit der ESI: https://www.esiweb.org/index.php?lang=de&id=67&newsletter_ID=136